Kirchendienst, falls daran überhaupt zu denken war, deshalb von vornherein verschlossen. Er verhielt sich ganz angemessen, wenn er infolgedessen sein Heil in dem neueren Schriftstellerberuf des Literaten suchte. Auch im einzelnen lag er bei dem fehlschlagenden ersten Startversuch auf der literarischen Laufbahn, den er mit Einundzwanzig in Leipzig begann, in erstaunlichem Maße innerhalb der Norm. Das zeigt eine Äußerung Hermann Marggraffs, die geradezu deckungsgleich auf ihn zutrifft, obwohl sie in Wirklichkeit von Literaten schlechthin handelt, Leuten, die — so Marggraff — „heute einen kritischen Artikel, morgen eine Correspondenz für ein Journal verfassen, zwischendurch an einem Roman arbeiten, oder ihre für alles zugeschnittene Feder an der Uebersetzung eines ausländischen Buches abnutzen und bald an dieses, bald an jenes Journal wie an einen letzten Rettungsanker sich anklammern." 50
Literat war nicht gleich Literat. Der seriöse Pressemitarbeiter, dem im Prinzip wie Gustav Freytag oder Rudolf Gottschall auch die Universitätskarriere offenstand, blickte voller Nichtachtung auf den literarischen Pauper herab, der Fontane zur selben Zeit zu werden im Begriff stand. Der literarische Pauperismus war geeignet, Käuflichkeit und Gesinnungslumperei hervorzubringen, die dann, als quasi berufsspezifische Eigenschaften aufgefaßt, die haßerfüllte Verachtung dieser Spezies erklären, in der sich radikale Köpfe auf der Rechten und Linken einig waren: Friedrich Engels und Wilhelm Heinrich Riehl, Otto von Bismarck und Ferdinand Lassalle. 51
Vor diesen Hintergründen erscheint auch Fontanes Versuch, nach der Leipziger Episode das Abitur auf eigene Faust nachzuholen und ein Universitätsstudium zu beginnen, trotz des Fehlschlagens durchaus angebracht. Das Abgleiten in den literarischen Pauperismus blieb ihm nicht erspart. Nach dem Gesagten kann man jedoch davon ausgehen, daß der Fontane der Jahre 1850 und 1851, der seine Überzeugung hintansetzte ünd mit anderen seinesgleichen in den Pressedienst des konterrevolutionären Ministeriums eintrat, damit nicht bloß die privat-moralischen Probleme hatte, die er in das Wort von den dreißig Silberlingen kleidete, die ein Judas für seinen Verrat bekommt. Vielmehr bestätigte er durch sein Verhalten das Vorurteil gegen die Berufsgruppe, der er sich nun unter den miserabelsten Bedingungen anschloß. Für sein Selbstbewußtsein und seinen Ruf war dies vielleicht das Schlimmere, auch wenn es keine großen Kreise zog und durch seinen gesellschaftlichen Umgang und seine Dichtung balanciert wurde. 52
Er hat sich dann ein Jahrzehnt hindurch redlich aus dieser Befindlichkeit herausgearbeitet. Aber endgültig entmakelt fand er sich zuerst nach seinem Anschluß an die Kreuzzeitung. Der Selbstvorwurf der Lohnschreiberei erledigte sich in dem Maße, wie er von sich sagen durfte: „Ich diene nach freier Wahl, aber nicht für 1 Rtl. und 8 Gr." 53 Es hat seine Ironie, daß er sich damit ausgerechnet gegen den neuerlichen Vorwurf der Lohnschreiberei zur Wehr setzen mußte und verdeutlicht, daß es mit Scherenbergs und seinem Legitimierungskonflikt nicht bloß eine ästhetische und politische Bewandtnis hat. Dabei verschlug es nichts, daß die Kreuzzeitung ihrem Redakteur jährlich 1000 Taler zahlte und außerdem dem Feuilletonschreiber für die Zeile 1 Silbergroschen. Sein Bekenntnis zum „echte(n), ideale(n) Kreuzzeitungstum" 54 war davon durchaus unabhängig.
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