Heft 
(1987) 44
Seite
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Lassalle 1863,auch wenn eine Familie von 5 Personen zu erhalten wäre, unbestreitbar wirkliche Wohlhabenheit vorhanden." 62 Im Jahr der Reichs­gründung hatten in Berlin 2900 Haushalte ein Einkommen von mehr als 1000 Talern. Das waren 1,5 °/o. 63

Frau Emilie hätte allen Anlaß gehabt, sich zu dem Einkommensniveau zu beglückwünschen, auf dem Fontane die Familie hielt. Fragt man sich nach dem sachlichen Grund für die Klagen über Armut und Ungesichertheit, in die sie stattdessen so häufig verfiel, dann tritt die Vermögenslosigkeit hervor, in der Fontane lebte. Rücklagen scheint er nicht gemacht zu haben. Seine ökono­mische Strategie, mit deren Hilfe er auf dem besagten hohen Niveau sein Einkommen stabilisierte und zugleich ein Minimum sozialer Sicherheit für den Notfall, für das Alter und, wenn er starb, für seine Frau zu erlangen suchte, war eine andere. Sie beruhte darauf, daß er aus unterschiedlichen Bezirken des literarischen Lebens Mittel zum Fließen und sich nicht zuletzt und auf Dauer in den Genuß von Zuwendungen brachte, die nicht von der tagtäglichen Verwertung seines Arbeitsvermögens abhängig waren. Auch hier­über äußerte er sich gelegentlich ganz ungeniert:Mein Geschriebenes drucken zu lassen, und zwar zu besten Honoraren, hab ich keine Schwierigkeiten, mir kommt es darauf an Geld zu kriegen ohne zu schreiben. Das ist das Geheim­nis schriftstellerischen Wohlergehens." 64 Übrigens ist diese Rechnung teilweise aufgegangen; er hat das nur nicht an die große Glocke gehängt, so daß es weniger bekannt geworden ist als die Fehlschläge, über die er sich empörte. Seit 1870 bezog er vom Innenministerium eine Pension, die als Forschungs­beihilfe deklariert war, ihm keine Verpflichtungen auferlegte und mit 400 Talern die Einbuße, die er beim Kultusministerium erlitten hatte, mehr als wettmachte.

Darüber (statt es zu erklären) heute zu rechten, wäre lächerlich. Besser nimmt man das Faktum als ein weiteres Anzeichen, daß in der Erbitterung des vater­ländischen Schriftstellers über die vaterländischen Amtsträger die ehren­kränkende Nichtachtung seiner Hingabe und seiner erworbenen Verdienste deutlich vor der Schädigung materieller Interessen rangierte. Es mußte viel Zusammenkommen, bis er von sich sagen konnte, er habeden ganzen patrio­tischen Krempel satt, ja mehr ,1 am sick of it'. Man hat mir zu schlecht mit­gespielt, und ich liebe nur da, wo man mich wieder liebt. In Anbetung glücklich zu ersterben, ist nicht meine Sache. Das überlass' ich Kammerfrauen und Predigtamts-Canditaten." 65

V

Die Beschreibung des vaterländischen Schriftstellers, als der Fontane anderthalb Jahrzehnte und mehr agierte, legt einige in knappster Form verallgemei­nernde Rückschlüsse nahe. Sie beziehen sich nicht mehr nur auf Fontane und gehen über die eingangs geäußerte Annahme hinaus, daß das Verständnis des literarischen Lebens zwischen dem schriftstellerischen Verhalten eines Autors und den Vorgefundenen Bedingungen vermittelt. Erstens zeichnet sich in dieser Beschreibung ein Sozialverhalten ab, das, indem es sich am Ver­ständnis des literarischen Lebens orientiert, einen spezifisch schriftstellerischen Charakter annimmt. Wie das literarische Leben selbst erlangt es in keinem

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