Heft 
(1987) 44
Seite
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ergriffen. Außerdem jedoch greifen die Eigenschaften, Bedeutungen und Ver­bindlichkeiten auf ihn über, mit denen sie im Bewußtsein der Beteiligten und der betreffenden Öffentlichkeit ausgestattet sind. Einesteils wird er sie sich aneignen, andernteils nach ihnen beurteilt werden. Es braucht nicht zur Subjek- tivierung objektiver Verhältnisse zu führen, wenn man diesem Komplex von Meinungen, dessen Hinzutreten die Rolle konstituiert, sein Recht einräumt. Und es muß nicht zur Verzerrung der dialektischen Beziehungen zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft führen, wenn man verfolgt, auf welche Weise das Verhalten der Autoren, ihr Selbstverständnis und das Fremdbild, das sie in anderen Augen abgeben, von den Bedingungen des literarischen Lebens in Abhängigkeit geraten, an dem sie sich beteiligen. Arnold Hausers Feststellung, der Künstler seigroßenteils das Geschöpf der Rolle, die er im Leben der Gesellschaft spielt" 67 , ist so nicht unbesehen hinzunehmen. Der Werde- und Entwicklungsgang literarischer Rollenvorstellungen vollzieht sich offenbar im Kampf der Meinungen und Interessen. Im Gegensatz zu rollen­theoretischen Auffassungen, die lediglich auf den Anpassungseffekt ans vor­handene soziale System Wert legen, verlangt vor allen Dingen die Art und Weise Aufmerksamkeit, wie Gruppen und einzelne sich dazu mehr oder weniger aktiv und produktiv in Beziehung setzen. Fontanes Beispiel nährt den Verdacht, daß die Originalität und Entschiedenheit, mit denen ein Autor in derartige Rollenvorstellungen eingreift, eine nicht unbeträchtliche Komponente seiner schriftstellerischen Leistung ist.

Drittens schließlich erhebt sich die Frage, ob wirklich (wie die literarischen Werke im Zentrum der literarischen Kommunikation) die Autoren im Zentrum des literarischen Lebens stehen, und wie sich ihre Position und Tätigkeit historisch verschieben. Nun ist in der Literaturwissenschaft der DDR zwar die Überzeugung unwidersprochen, daß auch auf literarischem Gebietdie Produktion gegenüber der Konsumtion ,das übergreifende Moment '" 68 darstellt. Aber ein theoretisches Interesse für den leibhaftigen Literaturproduzenten hat sich daraus nicht mehr ergeben, seit die Disziplin hier in den frühen siebziger Jahren wie sich bestätigt nicht ohne Einseitigkeit zur funktionalen und kommunikativen Betrachtungsweise ihrer Gegenstände übergegangen ist. Sogar die Tatsache scheint außer Sicht geraten zu sein, daß sich ein weitgehend weißer Fleck ausbreitet, wo analog zur Lehre vom Werk und vom Leser eine Lehre vom Autor zu erwarten und in Angriff zu nehmen wäre . 69 Eine histo­rische Typologie der Tätigkeitsprofile und Autorenrollen, die der literarischen Subjektivität die literarischen Subjekte vorangehen läßt, würde dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

Anmerkungen

1 Fontane, Theodor: Autobiographische Schriften. Hrsg. v. Gotthard Erler, Peter Goldammer und Joachim Krueger. Berlin 1982. Bd 2. Von Zwanzig bis Dreiftig, S. 154.

2 Fontane: Autobiographische Schriften. Bd 3/1. Christian Friedrich Scherenberg. Tunnel-Proto­kolle und Jahresberichte. Autobiographische Aufzeichnungen und Dokumente, S. 5.

3 An Gustav Keyfjner, 2. 4. 1895. In: Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Hrsg. v. Walter Keitel u. Helmuth Nürnberger. Abt. IV. Briefe. München 1976 ff (im folgenden: HFA IV/14). Bd 4. 1890-1898, S. 441.

4 Fontane: Autobiographische Schriften. Bd 3/1, S. 28.

5 Fontane: Autobiographische Schriften. Bd 3/1, S. 45.

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