Heft 
(1987) 44
Seite
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an Hof und Regierung sich lockern (ausgewiesen auch durch Pension, Dotation und Sinekure), die neue Abhängigkeit desfreien" Schriftstellers von Buch­markt und Druckgeschäft schon erfahren, aber noch nicht, wie in den 90er Jahren, durchschaut und verarbeitet ist, als Fontane sich zur gesellschaftlichen Stellung der Schriftsteller in Deutschland äußert. Peter Wrucks Interpretation der Scherenberg-Biographie aus der Feder Fontanes (1884) darf als ein beson­ders glücklicher Versuch gelten, ältere Autonomie-Vorstellungen von Dichtung mit gewandelten Wirkungsbedingungen (zunächst am Beispiel Scherenbergs) vorführen zu können. Sind damit Weite und Komplexität des Herangehens in etwa skizziert (im Längsschnitt gesellt sich der Geschichtsaufriß von Helmut Richter dazu) so kann das Gesamtbild, das dieses Konferenzmaterial anbie­tet, zu einer Theorie und Typologie vom Autor unter den konkret-historischen Bedingungen beitragen, deren wir so dringend bedürfen. Dies ist nur möglich, weil andere Kollegen den gleichen Fragen bei anderen Autoren nachgingen. Wasbürgerliche Entwicklung" unter den Bedingungen preußisch-deutscher, von Adel und Junkertum dominierter Verhältnisse für die Revolutionäre von 1848 bedeutet, ist schon 1903 von Franz Mehring charakterisiert worden: Ab 1848 gehen die Wege der Bücher, Rodbertus, Waldeck, Ziegler wunderlich durcheinander; vom Junkertum bis zum Proletariat, vom Feudalismus bis zur Sozialdemokratie streifen sie alle möglichen Parteien; einen sicheren Kurs finden sie niemals mehr." Und G. Lukäcs fügte dem hinzu, daß nationalliberale Gesinnung (die auch Fontane für sich reklamiert hat) ganz unterschiedliche Tatbestände bezeichnen kann. Man lese in den Referaten von H. Richter und F. Gebauer nach, welchen Gewinn diese Draufsicht vermittelt.Preußische Patrioten" wollten sie alle sein, die Ziegler, Weiß und Bücher, seit Österreichs Partikularinteresse (nach 1813) die Einigungsbestrebungen nicht mehr zu tragen vermochte. Freilich, ihr Demokratie-Verständnis hatte die Einflüsse der englischen, französischen und russischen Verhältnisse und die Umbrüche im eigenen Land (1850 1862 1871) ganz unterschiedlich zu verarbeiten. Raabe (s. H. Denkler), Storm (s. P. Goldammer), Geibel (s. B. Plett), Kretzer (s. M. Ossowski), die naturalistischen Bühnendichter und die vermittelnden Kritiker, in unseren Materialien: L. Hesekiel (s. L. Berg-Ehlers), F. Adami u. K. Frenzei (s. J. Thunecke), P. Schlenther (s. H. Ester), G. Weiß (s. H. Rich­ter) sie alle standen und wirkten im historischen Spannungsfeld der Her­ausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit, die sie (von gegensätzlichen Standpunkten aus) mitprägten, im Theater und in Zeitschriften (Fontane selbst in derEisenbahn", s. W. Wülfing und derGartenlaube", s. B. Kampei), und von denen sie geprägt wurden. Was für unterschiedlichte Traditionen durch­dacht, verworfen, aber auch vermittelt wurden, das zeigen auch J. Osborne, H. Chambers, R. Speirs in ihren Beiträgen. E. Sagarras Studien zum Echo der deutschen Literatur in England und Irland ergänzen das Bild.

Aber es geht um die Synthese, nicht schlechthin um mehr Material, keinen neuen Synkretismus. Haben wir das Blickfeld ausgeweitet auf bestimmende und fördernde Kreise und Schichten (s. P. Wruck, G. Erler, R. Berbig), auf Publikationsorgane, leitende Redakteure, Kritiker und Verleger (s. Masanetz u. L. Berg : Ehlers) hingewiesen, so tritt erneut die Frage ins Zentrum, welchen Einfluß diese sogenannten Literaturverhältnisse auf Geburt und Eigenart des Schriftstellers Fontane ausübten.

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