Heft 
(1987) 44
Seite
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Daß in jüngster Zeit Überlegungen angestellt und konkrete Vorschläge unter­breitet werden, wie Fontanes erzählerisches Werk wenn nicht historisch-kritisch (oder historisch-genetisch), so doch wenigstenskritisch" aufbereitet werden müßte, ist freilich nicht allein der seit den fünfziger Jahren unvermindert anhaltendenFontane-Renaissance" geschuldet. Nachdem die germanistische Editionsphilologie ihr Interesse vorrangig auf die Dokumentation der Text­genese gerichtet hat nicht selten unter Vernachlässigung all der mit der Textkonstituierung zusammenhängenden Probleme, mußten ihr, früher oder später, Fontane-Texte als vorzügliche Demonstrationsobjekte textologischer Untersuchungen auffallen. Ein Autor, für denDreiviertel" seinerganzen lite­rarischen Tätigkeit .. . corrigiren und feilen"' 1 war und dessenwork in process" 7 durch zahlreiche Zeugen, wenn auch nur lückenhaft, überliefert ist, kann in der Tat als Kronzeuge aufgerufen werden für die Berechtigung der wenn auch nicht unbestritten gebliebenen 8 Forderung der Mehrzahl aller neueren Editionswissenschaftler nach vollständiger Verzeichnung aller bekannt gewordenen Varianten im Apparat einer kritischen Ausgabe.

Domenico Mugnolo, dem das Verdienst zukommt, als erster ein praktikables Editionsmodell für Fontanesche Romane entwickelt zu haben 9 , erwartet von einer solchen Editionkaum Berichtigungen zum Text" 10 ; ihm geht es vielmehr darum,die Stufen zu dokumentieren, durch die der Text zu seiner endgültigen Gestalt gelangt" 11 ist. Darüber hinaus läßt die Einleitung zu MugnolosVor­arbeiten" deutlich erkennen, daß die editorischen Interessen des Verfassers, nicht ausschließlich zwar, wohl aber vorrangig, eng mit denen des Werkinter­preten Zusammenhängen. Erhellung der Textgenese ermöglicht exaktere, weil objektivierte, nachprüfbare Interpretationsmethoden als die Untersuchung und Betrachtung einer einzigen Fassung oder Textstufe des interpretierten Werkes, ermöglicht, in unserem Fall, Aufschlüsse über die Spezifik des Fontaneschen Realismus. So interessant und wichtig die dadurch gewonnenen bzw. zu gewinnenden Erkenntnisse sind: die Editorik erschöpft sich in dieser Funktion nicht. Der Herausgeber einer kritischen Ausgabe hat vielmehr darauf bedacht zu sein, daß an das Resultat seiner Arbeit viele und auch recht unterschied­liche Anforderungen gestellt werden, vom literarisch wie wissenschaftlich gleichermaßen interessierten Laien bis zum Literaturwissenschaftler, Historiker und Linguisten, mit allen nur denkbaren Fragen, Erwartungen und An­sprüchen.

Mugnolo geht davon aus, daßeine historisch-kritische Ausgabe der Romane und Erzählungen Fontanes .. . heute wohl nicht auf der Tagesordnung" 12 steht. Auf Grund der unterschiedlichen Überlieferungslage, und weil es oft nicht möglich ist, die Chronologie der innerhandschriftlichen Varianten, d. h. die exakte Reihenfolge der Korrekturvorgänge, zu rekonstruieren, plädiert Mugnolo für die Anwendung einerflexiblen Methode" der Apparatgestal­tung. 13 Und mit Bezug auf die erstmals 1969 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar erschienene Lese- und Studienausgabe der Romane und Erzählungen 11 hält auch er es für richtig, die Wahl des zu edierenden Textes Zeitschriften­vorabdruck oder erste Buchausgabe von Fall zu Fall zu treffen 15 . In seinen Anmerkungen zu MugnolosVorarbeiten" 16 stellt daher Walter Hettche die Frage,ob es nicht der Überlieferungssituation angemessener wäre, eine Edi-

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