Benutzers historisch-kritischer Ausgaben! — vermag, nach der Feststellung eines Experten, „aus bloßen Varianten den ersten Entwurf . .. neu erstehen zu lassen" 22 . Bedenkt mein ferner, daß, nach der Erkenntnis eines anderen wissenschaftlichen Editors und Editionswissenschaftlers, „die gleichmäßige Realisierung edler vier Forderungen an eine Variantendarstellung — Übersichtlichkeit, Stellenbezug, Schichtenbezug und Darstellung des dynamischen Verände- rungsVorgangs — .. . fast dem Ansinnen einer Quadratur des Kreises" nahekommt 23 , dann empfiehlt sich bei der Planung und Vorbereitung einer neuen kritischen Ausgabe eine lange Phase der Vorüberlegungen, des Experimen- tierens und der Diskussion, eine Phase, in der die beteiligten Wissenschaftler so weit wie möglich unbelastet sein sollten von Termin- und anderen Zwängen. Das gilt auch für die bloße Modelledition eines Fontaneschen Romans, mit der man beginnen mag, allerdings mit Blick auf eine mögliche (und wünschbare) Ergänzung bis hin zur Gesamtausgabe wenigstens der Romane und Erzählungen. Sofern die Herausgeber die Möglichkeit zur EDV-unterstützten Editionsarbeit haben und in der Lage sind, das gesamte Zeugenmaterial mit allen Varianten elektronisch zu speichern, ist vor der endgültigen Entscheidung für die eine oder andere Apparatform die Methode des „potentiellen Edierens" 24 dringend zu empfehlen.
Dem Vorschlag Hettches, nicht nur „die Varianten der ersten Drucke" (wie von Mugnolo praktiziert), sondern auch „eventuell vorhandener Reinschriften" in einem „traditionellen Lesartenapparat" — gemeint ist offenkundig ein (lemmatisierter oder nicht-lemmatisierter) Werkstellenapparat — zu verzeichnen, möchte ich aus praktischen Gründen zustimmen. Allerdings sollten „Reinschriften" — Mugnolo unterscheidet sie von den (gewöhnlich von Emilie Fontane geschriebenen, von Theodor Fontane häufig erneut stark korrigierten) „Druckmanuskripten" 25 — nur dann mit dem Erstdruck, d. h. in den meisten Fällen: dem Zeitschriftenvorabdruck, in direkte Beziehung gebracht werden, Wenn sie nachweislich als Satzvorlage verwendet worden sind oder wenn diese nicht oder nur fragmentarisch überliefert ist — wobei die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit nicht dokumentierbarer Korrekturen in Betracht gezogen werden muß. Da Fahnen- und Bogenkorrekturen sowie Satzvorlagen für Neuauflagen im allgemeinen nicht erhalten geblieben sind, läßt sich der Anteil des Autors an der Veränderung eines Werkes vom Manuskript zum Druck und von Auflage zu Auflage meist nur vermuten. Sowohl Mugnolo wie Hettche gehen dieser Problematik aus dem Wege. Der eine erwartet auf Grund der vorliegenden Studienausgaben „kaum Berichtigungen zum Text" 26 , der andere geht davon aus, „daß der Autor in jedem Fall die Drucklegung seines Textes überwacht hat und daß mithin der Textstand des Vorabdrucks bzw. der ersten Buchausgabe den vom Autor gewollten Text bietet" 27 .
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Die Annahme, daß ein Text, wenigstens weitgehend, „gesichert" ist, wenn der Verfasser dessen technische Reproduktion „überwacht" hat, ist — durchaus nicht nur im Falle Fontanes — auch unter Editoren und Editionswissenschaftlern weit verbreitet. Gotthard Erler, der die textkritische Irrelevanz der sogenannten Dominik-Ausgabe von 1890/91 bündig nachgewiesen hat, führt deren