Schon früher hatte Fontane seiner Tochter geschrieben, seine „ganze Aufmerksamkeit" sei darauf gerichtet, „die Menschen so sprechen zu lassen, wie sie wirklich sprechen". „Ich bilde mir ein, daß nach dieser Seite hin eine meiner Forcen liegt, und daß ich auch die Besten (unter den Lebenden die Besten) auf diesem Gebiet übertreffe." 33 Dieses Bekenntnis erklärt auch den großen Verdruß über Setzereingriffe bei der „Vossischen Zeitung" fünf Jahre später. In anderen Fällen hat Fontane mit keinem Wort dagegen protestiert, wenn Setzer nach eigenem Ermessen oder nach den Hausregeln der Redaktionen, Verlage und Druckereien Orthographie und Interpunktion veränderten und sogar in den Wortlaut der autorisierten Satzvorlage eingriffen. Dies soll im folgenden an einigen Beispielen demonstriert werden.
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Im Jahre 1882 erschienen, im Abstand von wenigen Monaten, die ersten beiden Drucke der Erzählung „Schach von Wuthenow": vom 29. Juli bis zum 20. August (in zwanzig Fortsetzungen) in der „Vossischen Zeitung" und Ende November bei Wilhelm Friedrich in Leipzig als Buch. Nach Mugnolos Auflistung 34 gibt es allein im vierzehnten Kapitel (das er als einziges untersucht hat) 136 Differenzen zwischen den beiden Drucken (wobei mitunter innerhalb eines Lemmabereiches mehrere Varianten Vorkommen, die hier einzeln gezählt sind). Doch nur 32 dieser Abweichungen scheinen vom Autor (bei der Korrektur des Satzes der Buchausgabe) veranlaßt worden zu sein; 104 gehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Setzer zurück. Bei den zuletzt genannten handelt es sich zumeist um orthographische und Interpunktionsvarianten, die in der angelsächsischen Editionsphilologie als „accidental variants" oder „accidental readings" bezeichnet werden, im Unterschied zu den „substantive variants (readings)", die Wortlaut und Sinngehalt eines Textes verändern und von denen angenommen werden kann, daß sie in ihrer großen Mehrzahl vom Autor stammen 35 . Die Analyse der Druckgeschichte vermag die Ursachen für die große Zahl dieser Differenzen in „Schach von Wuthenow" aufzudecken.
Die Satzvorlage für den Vorabdruck der Erzählung und vielleicht auch für die Buchausgabe war eine (nicht mehr vorhandene) Abschrift von der Hand Emilie Fontanes, entstanden kurz vor dem 19. Juli 1882 „in 3 Tagen" 30 , was einer täglichen Arbeitsleistung von 45 Schreibmaschinenseiten zu 2000 Anschlägen entspräche — wenn nicht zu vermuten wäre, daß, wie in anderen Fällen auch, einzelne Kapitel in Theodor Fontanes Reinschrift, d. h. der Vorlage für die Abschreiberin, dem Satzmanuskript eingefügt worden sind. Fontane hat die Abschrift seiner Frau noch einmal überarbeitet; diese Tätigkeit nahm ihn bis zum 12. August in Anspruch 37 , dem Tag, an dem bereits das dreizehnte Kapitel in der „Vossischen Zeitung" erschien. Für den Vorabdruck hat Fontane nicht Korrektur gelesen; er scheint aber von dem Chefredakteur des Blattes die genaue Reproduktion der Vorlage verlangt zu haben. „Stephany . .. wird die Correktur so zu sagen selber in die Hand nehmen. .Wer einen Fehler stehn läßt, wird gehängt.' Mir geschieht dadurch ein großer Dienst.. ," 38 Wie der Vergleich des vierzehnten Kapitels in der „Vossischen Zeitung" mit einer von Mugnolo ausgewerteten früheren Fassung (Vs 2) im Märkischen Museum
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