die als Druckfehler, d. h. als unzweifelhafte Setzerversehen zu erkennen sind: „Kriterium fehlerhafter Stellen ist, daß sie für sich oder im engeren Kontext keinen Sinn zulassen (Typ: ,nud' bis Typ: ,er legte seine breite Stimme in Falten'). Bei der Korrektur dieser Stellen kann auf die entsprechenden Varianten in anderen Zeugen zurückgeg*iffen werden; der Eingriff erfolgt aber nicht, weil in anderen Zeugen eine Variante vorliegt. / Damit wird die Anzahl der als fehlerhaft anzusehenden Stellen auf eine kleine, meist genau zu übersehende Zahl von Fehlern eingeschränkt ." 58
Eine Zeitlang hat man sich in der neueren germanistischen Editionslehre damit beholfen, Schreibfehler (in Manuskripten oder Typoskripten), Satzfehler und Setzereingriffe in Fassungen, die der Verfasser im ganzen autorisiert hatte — etwa indem er die Satzvorlage lieferte, Korrekturen erhielt und zurückschickte oder auch ausdrücklich auf das Korrekturlesen verzichtete —, als „passiv autorisiert" zu bezeichnen, so daß „auch die vom Autor nicht bemerkten Abweichungen eines autorisierten Drucks von der Druckvorlage als autorisiert " 39 zu gelten hätten. Diese Hilfskonstruktion ermöglicht es erst, den Begriff der „fehlerhaften Stelle" im Sinne des obigen Zitats auf solche Fehlleistungen des Setzers einzuschränken, durch die eine Textstelle (häufig nur ein Wort) sinnlos oder widersinnig erscheint. Alle sonstigen Überfremdungen aber brauchen nicht mehr als „Textfehler" fl ° zu gelten, besonders dann nicht, wenn sie der Autor, z. B. für eine von ihm abermals durchgesehene oder,im Satz kontrollierte Neuauflage, noch einmal „passiv autorisiert" hat.
Herbert Kraft ist zuzustimmen, wenn er den Ausdruck „passive Autorisation" als eine contradictio in adiecto, als „nichts Wirkliches bezeichnend" verwirft. Mit dem Begriff „passive Autorisation" wird aber zugleich Autorisation überhaupt als ein Vorgang, ein Faktum oder eine Willensbekundung aus der Edi- torik eliminiert, weil „die Frage nach der Autorisation .. . irrelevant" sei „gegenüber dem Werkcharakter als einer Objektivation ". 61 Nicht die subjektive Intention des Autors hat, nach Kraft und anderen neueren germanistischen Editionswissenschaftlern, den Editor zu interessieren; er hat es allein mit den „historischen Formen der Texte" zu tun, mit der objektiven Überlieferung also. „Sind die Verformungen, welche die Werke erfahren haben, zu ihrer konkreten Form geworden und bedeuten sie den Niederschlag des historischen Kontextes, so gibt es kein editorisches Verfahren, mit dessen Hilfe durch Überschreitung des historischen Textes ein ,unentstellter Originaltext' erarbeitet werden könnte..." Schon „der Versuch, die Orthographie zu restituieren, wenn der Text zum Beispiel in einer .Hausorthographie' gedruckt vorliegt", sei „als Verfälschung historischer Faktizität abzulehnen ". 62
Selbstverständlich geht es nicht an, dem Leser einen Mischtext anzubieten, den der Herausgeber aus verschiedenen Textfassungen eines Werkes kontaminiert hat, ein synthetisches Konstrukt, das der Autor so weder gewollt noch je vor Augen gehabt hat. Muß aber das Kontaminationsverbot auch auf zwei Fassungen übertragen werden, von denen die eine Textänderungen enthält, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl nicht vom Autor stammen? Müssen in einem neu edierten Text Hunderte, manchmal sogar Tausende von Setzerfehlern und Setzereingriffen tradiert werden, nur weil der Autorwille nicht mehr genau feststellbar und die Autorisation nicht für jedes Detail gesichert ist? Müssen denn die Setzer, nur um der „historischen Faktizität" willen,
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