Heft 
(1987) 44
Seite
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len." 104 Die oben ausgesprochene Vermutung,Vor dem Sturm" sei für Daheim" und für die erste Buchausgabe nach derselben Vorlage gesetzt worden, geht ebenfalls von der Annahme aus, daß der Satz des Vorabdrucks im nachhinein noch stark verändert worden ist, das heißt, daß diebeträcht­lichen Kürzungen" in der Zeitschriftenfassung ebenso wie die redaktionellen Textänderungen auch hier ging es u. a. um die Übersetzung französischer Partien 103 anhand eines Fahnenabzugs vorgenommen worden sind. Aus all diesen Beobachtungen muß folgender Schluß und dies nicht allein für die Fontane-Edition gezogen werden: Wenn Korrekturfahnen vorhanden sind, dürfen sie nicht ungeprüft stemmatisch dort eingeordnet werden, wo auf Grund dernormalen" (heutigen) Abfolge von technischer Produktion und Autor­korrektur ihr Platz zu vermuten wäre.

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Redaktionell verstümmelte Fassungen Fontanescher Werke, sofern diese auch in mindestens einem späteren, die Autorintention einigermaßen korrekt wiedergebenden Druck vorhanden sind, waren für die Fontane-Herausgeber bisher nur von peripherem Interesse, etwa im Zusammenhang mit der Be­schreibung der Textgeschichte;textkritisch" galten sie als praktisch bedeu- tungs- oder belanglos. 106 Dabei handelt es sich jedoch, strenggenommen, um autorisierte Texte, wenn wir Autorisation als einen juristischen Akt, nicht als eine sprachlich-künstlerische Entscheidung des Verfassers ansehen. Fontane hat der Redaktion derGartenlaube" freie Hand gegeben, denQuitt"-Roman nach ihrem Gutdünken zu bearbeiten, und daß er das Ergebnis gleichwohl als Verunstaltung empfunden und bezeichnet hat, ändert nichts an der Tatsache, daß dieGartenlauben"-Leute imRecht" und keine Raubdrucker waren. (Daß sich Fontane, gewiß nicht leichten Herzens, aus Gründen der Existenzsicherung zu solchem Tun entsclüießen mußte Kröner zahlte ihm mehr als das Drei­fache dessen, was er von Hertz für die Buchausgabe bekam 107, braucht in diesem Zusammenhang nicht weiter erörtert zu werden.)

Wer in der Editionsphilologie der Überlieferung größere Bedeutung beimißt als der Autorisation, für den ist dieGartenlauben"-Fassung vonQuitt" nicht minder wichtig als das in der Buchausgabe reproduzierteOriginal" des Romans; denn jene hat vermutlich in mehr als 300 000 Exemplaren ver­breitet 108 zweifellos eine weit größere zeitgenössische Wirkung gehabt als diese. Man hat, nicht zu unrecht, wie mir scheint, die aus dem Vergleich der beidenQuitt"-Fassungen zu gewinnenden Resultateein Stück ungeschriebene Geschichte in der Fontane-Rezeption" 109 genannt, weil Fontane hier auf der einen Seite nur alsHeimatautor" beim Publikum ankam, auf der anderen Seite aber sich als Zeitkritikermit der Absicht an die Leser wandte, ihre Denk- und Anschauungsformen zu reflektieren" 110 . Eine historisch-kritische Ausgabe müßte beides dokumentieren und dürfte auch im Falle einer bloß juristischen Autorisation nicht aufhistorische Faktizität" verzichten. Ein Paralleldruck beider Fassungen könnte deren unterschiedliche Wirkungsstrate­gien am sinnfälligsten demonstrieren.

Manches Weitere, was für eine kritische Fontane-Ausgabe zu bedenken ist, wäre noch zu erwähnen zum Beispiel, daß die zeit- und kostenaufwendige Vorbereitung einer solchen Edition verlorne Liebesmüh ist, wenn die druck-

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