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Deutschland
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(lui'inruncu. Organ für deutsche Philologie, herausgegeben von Nludolf Henning und Julius Hofforh, I. M. Hirschfeld, Untersuchungen zur Lokasenna.
Das erste Heft des neuen germanistischen Sammelwerkes darf trotz seines gelehrten Titels den Anspruch daraus erheben, von weiteren Kreisen des deutschen Publikums beachtet zu werden. Die Erörterungen über den Lokimythus und die Deutung des eddischen Gedichts freilich seien dem Studium der Fachgenossen Vorbehalten. Allein das Gedicht selbst, in welchem Loki die bei festlichem Gelage versammelten Götter und Göttinnen der Reihe nach mit Schmähungen überschüttet — die Damen müssen alle den Borwurf der Buhlerei über sich ergehen lassen — und der eins der charakteristischten Denkmäler humoristischer altnordischer Poesie ist — wird uns in einer geradezu mustergültigen — nicht stabreimenden, sondern prosaischen — Übersetzung dargeboten, welche sich dem rein derben Ton des Originals aufs vollkommenste anschmiegt) und eine ausführliche Jnhaltsanalyse sorgt für das Verständnis ihrer Einzelheiten. Zudem stellt sich uns das durchaus in Dialogform gehaltene Gedicht als das „älteste uns erhaltene germanische Lustspiel" vor) das Titelblatt der Übersetzung lautet: „Lokasenna. Lokes Zwist bei Ägers Trinkgelage. Götterkomödie in einem Akt)" durch beigegebene Bühnenweisungen will Hirschfeld das dramatische Leben des Gedichts anschaulich hervortreten lassen. Wie weit allerdings . eine solche Auffassung berechtigt ist, wird die wissenschaftliche Forschung noch sestzustellen haben. b.
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Gnp de Maupassant, V'ort eoruurs lu FI(,i-t (Paris, Paul Ollendvrff 1889).
Guy de Maupnssant ist unter den lebenden Franzosen einer der wenigen, die mitunter noch ganz Franzose sind. Seine größten Erfolge hat er den übermütigen Skizzen zu verdanken, in denen er sich mit altem gallischem Humor komischer Situationen aus dem sogenannten Liebesleben bemächtigt. In diesem Genre hat er einzelne kleine Meisterstücke geliefert, deren sich Balzac und Voisenon nicht zu schämen hätten. Leider begnügt sich auch Maupassant nicht damit, zu schaffen, was er kann. Auch er hält vermutlich etwas Langeiveile für vornehm und bietet uns von Zeit zu Zeit einen psychologischen Roman, den andere besser schreiben würden als er. l?ort 00 N 1 M 6 ln Mort erzählt die Geschichte des üblichen Pariser Collage, diesmal zwischen einem ledigen Maler und einer verheirateten Gräfin. Die Liebesgeschichte selbst ist gut erzählt und voll von persönlichen Zügen. Wie der Maler aber dann nach Jahren zugleich die Gräfin und deren erwachsene Tochter liebt und darüber stirbt, das ist zu schlecht erfunden, um gut erzählt werden zu können. —i-.
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A. Oskar Klanßmann, Der Humor-im deutschen Heere. (Berlin, Verlag von I. H. Scho rer.)
Ein stattlicher Band, der ohne Frage bei dem Volke in Waffen ungeheure Verbreitung finden wird. Man sammelt heutzutage im Dienste von Verlegern ungarische und sächsische Anekdoten, warum nicht auch die militärischer:? Der Herausgeber hat sich die Sache überflüssigerweise erschwert, indem er mit litterarischem Ehrgeiz die gesalzensten Scherze fortließ und dafür in selbständigen Betrachtungen höhere Gesichtspunkte suchte. Die wenigsten Leser werden ihm für diese beiden Bemühungen dankbar sein. —i-.
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Paul Hepse arbeitet gegenwärtig an der Herausgabe seiner gesammelten Übersetzungen: „Italienische Dichter seit der Mitte des 18. Jahrhunderts)" er selbst mag dieses Werk gern für ein rein litterar-historisches ausgeben, seine Verehrer werden sich nicht täuschen lassen und ihren Dichter auch da nicht vermissen, wo er nur nachdichtet. Der eben erschienene zweite Band enthält die Gedichte und Prosaschristen Leopardis, des viel citierten, aber von den Deutschen bisher nur wenig gelesenen „Pessimisten." Die Vorrede Heyses, worin er den Subjektivismus jeder pessimistischen Weltanschauung an Leopardis Beispiel glänzend darlegt, ist allein ein kleines Meisterwerk und verdient vielleicht ebenso bekannt zu werden, wie Leopardis traurig schönen Verse. k.
Die besten Bücher aller Zeiten und Litteraturcn wollten drei Männer „zur Beratung des lesenden Publikums" zusammenstellen, und sie wandten sich daher an eine Reihe mehr oder weniger bekannter Persönlichkeiten mit der Bitte, der Sache nutzbare Listen einzusenden. Und es fanden sich wirklich freundwiliige Leute, die auf den sonderbaren Wunsch eingingen. Nach sorgfältiger Durchsicht der oft recht umfangreichen Verzeichnisse kann man ein Gefühl des Staunens darüber nicht unterdrücken, hier die gelobtesten Bücher aller Zeiten und Litteraturcn dem lesenden Publikum empfohlen zu findeu. Die lebenden Autoren sind — mit ganz geringen Ausnahmen — vornehm ignoriert worden, jedenfalls auch „zur Beratung des lesenden Publikums." Übrigens entdeckt man auf den 48 Seiten — der Rest von etwa 70 Seiten ist Verlegerreklame — manch ergötzliches Selbstbekenntnis. Ein sehr bekannter Geistlicher, der alles aufzeichnen will, was ihn dauernd und mächtig bewegt hat, weiß nichts von Goethe, Shakespeare, Schiller, Lessing zu sagen, und ein berühmter Gelehrter hat seine „allgemeine Bildung" durch A. v. Humboldt, Schiller, Goethe, Lessing und — Hauff gewonnen. Gegenüber solcher Bescheidenheit erfreut doppelt die prächtige Rücksichtslosigkeit von Theodor Fontane, der den Mut hat, sich zu Cooper und Zola, zu EugLne Sne und Leo Tolstoi zu bekennen und seine „kalte Bewunderung" der Goetheschen Prosa dreist auszusprechen. Die ausführlichsten Listen haben die Herren E. v. Hartmann und — Karl Bleibtreu eingesandt. Herr v. Hartmann wünscht u. a. die Edda, Cicero, Taeitus, Racine, Corneille, Miltvns „Verlorenes Paradies," Klopstocks „Messias," den „Kosmos" von unverdienten! Ruhm ausgeschlossen zu sehen, während Herr Bleibtreu mit schwerem Herzen auf Rousseau und Voltaire Verzicht leisten möchte. Wo in deutschen Landen für die ausgestellten Bildungssätze ein „lesendes Publikum" zu finden ist, darüber äußert sich keiner der Gäste, keiner der Gastgeber, lind doch scheint das nicht gerade das Unwesentlichste an der Sache zu sein, denn daß die getreulich verzeichneten Dichter und Denker — von Homer bis ans Paul Lindau — einige gute Bücher geschrieben haben, das war einem weitere» Kreise nicht so unbekannt geblieben, wie die Berater des lesenden Publikums anzunehmen scheinen. iw>.
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Die „Gesellschaft von Berlin," der man seit den Tagen der Frau von Staöl so eifrig auf die verwischte Spur zu kommen sucht, ein Berliner Verleger hat sie in einem der vielen unbeschäftigten Augenblicke seines Erdendaseins frischweg entdeckt. In einein angenehm wirkenden Einbande sammelte der gewitzte Herr die Adressen von Beamten, Börsenherren, Offizieren, Industriellen, bis herab zu den Künstlern und Schriftstellern, und als er der Männlein und Weiblein genug zu Hatzen glaubte, ließ er das Titelblatt mit der stolzen Inschrift „Gesellschaft von Berlin" anfertigen. So entstand ein Buch wie andere mehr. Ärgerlich ist das sicherlich idealen Beweggründen entsprossene Unternehmen wohl nur für diejenigen Menschen, die wider- eigenes Wissen und Willen hier an den Gesellschaftspranger gestellt sind) ihre Empfindungen mögen wohl denen eines ehrlichen Kunstfreundes gleichen, der zufällig unter ein beutegieriges Premitzrenpubli- ,kum gerät. Übrigens sind auch die Werke und die Orden der Gesell- schaftszugehörigen fein ordentlich aufgezählt, und ein von statistischem Wahnsinn befallener Reporter will entdeckt haben, daß sich unter den spät aber glücklich dekorierten Schriftstellern einer befindet, der niemals in seinem Leben einen Ordenswitz gemacht hat. Doch geben wir diese unverbürgte Nachricht unter aller Reserve wieder. mi>.
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Der internationale Verein zur Bekämpfung der wissenschaftlichen Tierfolter versendet soeben sein zehntes Flugblatt. Die darin mitgeteilten Auszüge beweisen allerdings, daß unsere Physiologen in ihren Laboratorien unzählige Tiere aufs furchtbarste quälen. Ob diese wissenschaftliche Tierfolter zu ihren sichern Ergebnissen im richtigen Verhältnis steht, das muß jeder einzelne Forscher mit sich selber ansmachen, solange die Menschenrechte des achtzehnten Jahrhunderts nicht auch auf die Tierwelt ausgedehnt worden sind. Ohne Zweifel, die Vivisek- toren quälen Tiere) die Antivivisektionisten aber, die uns so scheußliche Flugblätter ins Haus schicken, quälen Menschen. —i-.
Verantwortlicher Redakteur: Fritz Manthner in Berlin VV., Frobenstraße 33 . — Druck und Verlag von Carl Flennning in Glogau.