Seite 42. Deutschland. B" Z.
Das Fenster war zu. Die Nacht wieder ganz wundcrstill. Mcm meinte die Schneeflocken fallen und auf dem weißen Boden zerrieseln zu hören. Und doch schien die Nacht eine Stimme bekommen zu haben und aus allen Ecken und Enden mir das herrische Wort zu wiederholen: Ich will es!
Es war meiner Überzeugung nach ebenso überflüssig, wie es gefährlich war, zweimal ums Hans herumzutrampeln, indem es schon dreiviertel auf sechse schlug. Aber dürft' ich's wagen, gleich ihrem ersten Gebote zuwiderzuhandeln, nachdem ich durch mein treuloses Verhalten in der Fremde das Mißtrauen der Geliebten selbst verschuldet hatte!
Ich besann mich also nicht länger, trollte einmal um den ganzen Ban herum, hörte ein wachsendes Knurren, flog zum zweitenmal im Laufschritt vorüber und hörte ein Kläffen, und als ich davor schleunigst zur Rechten durch die Taxushccken brach, in der Hast eine Scheibe des Gnrkenmistbcets in Scherben trat und dann ohne viel Mühe am Spalier über die Planken kletterte, war's, als bellte sich der kleine Köter meiner Verwandten die arme Hnndeseelc ans dem Leibe und müßte das ganze Haus und die Nachbarschaft alarmieren.
Es kam aber niemand hinter mir her und es begegnete mir niemand in der Straße. Ich fand meinen Stock, ich fand mein Bett unangefochten und schlief ein, unangefochten auch von dem Gedanken, was es denn um so ein Rendezvous sei, daß man darum den Kragen und den Stern darauf und
den Ruf seiner Geliebten gefährdet und den unversöhnlichen Haß
ihrer Herren Eltern, die größten Grobheiten und den schönsten Schnupfen riskiert. Nein, solch ein Gedanke blieb mir fern. Mit einer innigen Befriedigung ohne Gleichen verfiel ich in den festen Schlaf der Glücklichen. Ich hatte ihre zürnende Hand versöhnt in der meinigen gehalten, ich hatte ihre Liebe wiedergewonnen, ich war mir sicher, ihre Proben glorreich zu bestehen, und würden sie bedenklicher ansfallen als die Ar- ! beiten des Herakles.
Nichts war natürlicher, als daß der Sohn des Hauses
sich am anderen Tag erkundigte, wie der gestrige Ball den
Güsten seines Vaters und insbesondere den Damen bekommen sei, und wie sie geruht hätten.
Um die Nachmittagstheestunde verfügte ich mich denn auch in dieselbe Villa, die ich am frühen Morgen mit diebischen Schritten umkreist hatte, und ward arglos mit der größten Freundlichkeit empfangen.
Etwas wie eine Last fiel mir denn doch vorn Herzen, als ich die Hoffnung bestätigt fand, daß weder mein Kommen noch mein Gehen vor zwölf Stunden bemerkt worden war.
Nur der infame Köter meiner Angebeteten schnoberte verdächtig an mir herum und rieb einigemal höchst unwirsch seine feuchte Schnauze an meinen schönsten Unisormsbein- kleidern. Aber sein hündisches Gebaren ward von niemand außer mir verstanden und auch von mir nicht weiter beachtet.
Es währte nicht lange, so kam anderer Besuch, es wurde laut im Salon, und wir zwei fanden des öfteren Gelegenheit, unbelauschte Worte miteinander zu wechseln.
„Hast Du gut geschlafen?"
„Süß! Und Du?"
„Himmlisch! Liebst Du mich?"
„Wer kann's wissen!"
„Du schlimmer Schalk, Du! ... . Darf ich Dich heute morgen im Garten wieder besuchen?"
„Ums Himmelswillen, wo denkst Du hin? Um keinen Preis der Welt wieder! Laß es der Narretei mit einemmal genug sein! Nun wir einander wiedergefnnden haben, können wir ja ganz bequem überall miteinander reden, ohne meinen guten Ruf durch Unvorsichtigkeiten, wie die gestrige, zu gefährden. Begreifst Du das nicht?"
„Ich begreife alles, was Du begriffen haben willst; aber es war doch so süß!"
Seraphine lächelte und sagte: „Freilich war es süß! Aber cs soll sich darum nicht in Bitterkeit verkehren. Sei Du nur treu!"
Ich war ihr treu. Niemals ist Treue von einem Sekvnde- licntenant mit solch weltverachtendcm Fanatismus gehalten worden. Auch ich hatte mich nicht über Seraphinc zu beklagen. Seit jenem feierlichen Augenblick, da wir uns unter fallenden Flocken vor Morgengrauen mehr verschworen als verlobt hatten, war sie ganz Güte gegen mich. Ich wartete ans Proben, die ich bestehen sollte, ans kühne Abenteuer, ans denen ich znm Ruhme meiner Dame als Sieger hervorgehen sollte, ich ward ordentlich ungeduldig, auch in Thaten zu beweisen, wie groß meine Leidenschaft, wie unerschütterlich meine Treue sei. Aber mir ward nichts dergleichen anferlegt, von mir ward nichts gefordert, nichts erbeten, als was sich von selbst verstand. Manchmal kam es mir vor, als ängstigte sich Seraphine, eine Liebe ans gefährliche Proben zu stellen, in deren Besitz sie sich nach peinlichem Entbehren wieder so glücklich fühlte.
Einmal im Gespräch an unfern Pakt gemahnt, sah sie mich fast traurig an, bis sie sagte: „Ich will nicht übermütig sein, Heinrich, sei Dn's auch nicht! Die Stunde, da Du wirst bestehen müssen, kommt von selber, das Schicksal wird Dir Proben genug anferlegen, auch wenn ich es zu thnn vergäße oder verschmähte."
Ein schönes Programm, dessen Verkündigung wie alles, was sie that und sprach, das Entzücken an der Geliebten nur vermehrte. Der gewisse Hanptmann erster Klasse kam gar nicht mehr in Sicht. Und niemals gab es einen glücklicher verliebten Lieutenant als mich, obwohl unsere unbewachte Intimität nicht ein Haarbreit über die größte Ehrbarkeit sich verstieg und mir nur in seltenen Momenten sich sclbstver- gessender Leidenschaft etwas wie ein Küßchen in Ehren gestattet wurde.
Seraphine war von einer eisernen Strenge, bei jedem Versuch, mich anspruchsvoller zu verhalten, ward ich sofort mit einer Entschiedenheit in die Schranken äußersten Anstandes zurückgewiesen, daß mich Besorgnis erfaßte, durch unzeitige Kühnheit alles, was mich jetzt so glücklich machte, ans einmal und unwiderbringlich zu verschütten.
So ging der Winter allmählich in jene nicht zu defi- uiereude Jahreszeit über, iu der cs zwar nicht inehr schneit, aber noch recht häßlich regnet und trotz einiger wenigen rasch vorüberblinkenden sonnigen Tage noch lange nicht Frühling werden will. Wir liebten, schwärmten und tanzten so weiter.
Daß es dennoch Frühling ward, merkte man nur an den, um diese Jahreszeit in unserem Stande üblichen Plackereien, denen ich mich übrigens mit jenem Eifer strammer Jugend überließ, welcher alle Pflichterfüllung leicht macht. Nur daß ich viele Wochen lang von Seraphinen wenig oder nichts hören und sehen sollte, das war mir sehr leid.