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Wir hatten die Stadt verlassen nnd biwakierten in einem Feldlager mit etlichen Regimentern zusammen.
Immerhin kam mit der wärmeren Jahreszeit auch wieder ein wenig Ruhe und Behagen in das angestrengte Soldatenleben. Der Verkehr mit befreundeten Familien in der Stadt und auf dem Lande ward ab und zu möglich gemacht. Und daß ich diese Möglichkeiten ausnützte, könnt' Ihr Euch denken.
Der Teufel war nur, daß Seraphine während meiner Abwesenheit, sich allein nnd alten Erinnerungen überlassen, wieder zu spintisieren anfing, über meine mögliche Untreue und die schädlichen Folgen der Entfernung von ihr grübelte und Gespenster sah.
Ich begegnete manchmal beim Einritt in unser Residenzstädtchen scheuen Blicken, vorwurfsvollen Fragen, kränkendem Argwohn und derlei kleinen Abscheulichkeiten, womit sich leider, was sich liebt, zu uecken pflegt.
Aber das kam nur so ab und zu, wie ein kurzes Gewitter die Landschaft überfüllt und überschüttet, und gleich darauf die Welt nur um so lieblicher aufatmet und unter Thrünen lächelt.
Ich benutzte jeden kurzen Urlaub, der zu erlangen war, kam auch nicht selten ohne Urlaub, nnd war's nur, um eine halbe Stunde mit der Geliebten zu verplaudern oder, was leider manchmal der Fall war, zu verschmollen, und mich erst kurz, ehe ich mich wieder in den Sattel schwang, zu versöhnen.
Das klingt alles vor anderer Ohren recht thöricht, und war es auch. Allein vergeht nicht, meine geneigten Zuhörer, daß ich damals kaum zwanzig Jahre alt und Seraphine noch um zwei Jahre jünger war als ich.
An dein Tage, da sie das achtzehnte Jahr vollendete, sollte ein Familienfest im Grünen nbgehalten und sollten alle Freunde des Hauses von nah und fern dazu geladen werden.
Eine in der Nähe der Stadt recht artig gelegene Ruine wurde in diesem Jahr zum wohnlichen Sommersitz ihres Eigentümers, eines lebenslustigen Standesherrn, nmgebaut. Diese Renovierung machte viel von sich reden. Jeder wollte, nachdem er selbst gesehen, darüber mitsprechen. So war es nicht eben überraschend, daß man beschloß, an Seraphinens Geburtstag die Ausfahrt nach jener schönen Waldhöhe zu lenken, wo Maurer nnd Zimmerleute im Begriffe waren, das alte Nest für moderne Bedürfnisse umzuschafsen, ohne seinem alten Stil nnd ehrwürdigen Charakter zu nahe zu treten. Die einen meinten, daß dies nicht gelingen werde, die andern, daß es gar nicht wünschenswert sei; andere hatten andere gewiß nicht minder berechtigte Ansichten, die sie mit ihrem Kunstsinn oder mit ihrer Erfahrung verfochten. Mir war das alles einerlei. Mir war es nur darum zu thuu, die Liebste wiederzuseheu und an ihrem Feste nicht zu fehlem Der Gedanke, daß sie an diesem Tage von anderen Männern beglückwünscht, beschenkt, gefeiert, umschwärmt und vergöttert werden würde, ohne daß ich dabei und der Hahn im Korbe wäre, der Gedanke war ganz dazu angethan, mich wütend zu machen. Schon von weitem fürchtete ich, daß mir gerade an diesem Tage durch den Dienst die Möglichkeit benommen werden würde, meinem heißesten Wunsche zu entsprechen. And als der Tag wirklich hernnkam, da halt' ich auch die traurige Gewißheit, daß mir gerade morgen jeder noch so kurze Urlaub verweigert werdeu und sich keiner meiner Kameraden finden würde, der für mich einsprünge. Ich konnte keinem von diesen und selbstverständlich auch dem Kouunau-
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deur keinen Vorwurf daraus machen. Es ging eben nicht. Da war nichts zu machen. Das war jedermann klar. Nur einem wollt' es nicht klar werden: dem Geburtstagskinds selber. Nachdem ich, ganz toll vor ohnmächtiger Wut, den größten Blumenstrauß in der Stadt hatte auftreiben lassen, verfaßte ich eine Epistel, darinnen ich zu den überschwenglichsten Glückwünschen die bitterlichste Klage fügte wegen des Dienstes ewig gleichgestellter Uhr, die heute keinem Glücklichen schlüge, und legte haarklein dar, warum ein Abkommen aus dem unerbittlichen Dienst schlechterdings unmöglich wäre. Mit finsterem Trotz schon halbergeben in mein Geschick, kriegt' ich noch am Mittag eine Antwort, die mir den Rest von gesunder Überlegung nusblies.
Das also ist Deine Liebe? Sie kennt das Wort Unmöglichkeit! So fing's an. Sie gab weiterhin zu verstehen, daß ich wohl nicht so fest im harten Dienst meines aller- gnädigsten Kriegsherrn, sondern vielleicht eher in dem sanfteren eines schönen Fräuleins mich gefesselt und zurückgehnlten fände. Und weiter hieß es: Was soll mir ein Festtag ohne Dich! Wie soll mir das neue Lebensjahr Glück bringen, wenn ich Dich am ersten Tage desselben mit keinem Auge sehen konnte. Liebe ist abergläubisch. Ich müßte fürchten, daß ich Dich dann dies ganze Jahr nicht sehen oder doch Dich im Laufe dieses Jahres für ewig verlieren sollte. Und der Schluß war: Wenn Du mich liebtest, würdest Du auch das Unmögliche möglich gemacht haben. Ich will Dich an diesem Tage nicht entbehren! Ich will, daß Du kommst! Erinnere Dich unseres Pakts! Wenn Du mich lieb hast, so kommst Du!
Zu meiner Schande sei es bekannt, daß mir diese Epistel ganz aus meinem Herzen geschrieben war. Der unbändige Unsinn, den sie enthielt, war mir viel lieber, als wem: sich Seraphine in Gottes Namen willig und sanft ins Unabänderliche ergeben Hütte, weil's schon einmal nicht anders sein konnte. Im Gegenteil, ich sah in diesem Trotz, in dieser Unvernunft, in diesem Auslehnen gegen alle Möglichkeit einen sprechenden Beweis ihrer Leidenschaft, und das erhob mich hoch, das machte mich glücklich — aber ruhiger und vernünftiger, als ich schon war, machte es mich nicht.
Mir stand bombenfest, daß Sernphine vollkommen im Rechte war, daß sie mit dem Rechte der Liebe verlangen konnte, ich müsse an ihrem Fest erscheinen, und daß es meine unerläßliche Ritterpflicht sei, ihrem Rufe zu folgen und diesen geforderten Beweis meiner alles überwindenden Zuneigung zu erbringen.
Einige Versuche, die ich am Nachmittag machte, mich in ordentlicher Weise vom Dienste zu befreien oder durch andere vertreten zu lassen, schlugen fehl. In mich gekehrt nnd verbissen that ich meine Pflicht bis des Nachmittags um fünf Uhr. Da schien's, als wäre weiter nichts zu besorgen. Ich hieß meinen Burschen mir das schnellste meiner Pferde satteln und sagte zu meinen: Kameraden, daß ich wegreiten würde.
„Ohne Urlaub?" fragte der . . .
„Es ist der Geburtstag meiner Braut. Ich kann nicht fehlen. Voraussichtlich ist für heute auch alles gethan und wird mich niemand vermissen."
„Wenn aber doch?"
„Dann vertritt mich gut oder schwiudle mich heraus, sag', ich wäre halbtot oder thu was Du willst! Gott befohlen!"
Ich trieb den Gaul au und sauste davon.
Deutschland.