Heft 
(1889) 03
Seite
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Deutschland.

Auf dem nächsten Weg und mit diesem Pferde braucht' ich in gestrecktem Trab anderthalb Stunden bis zur Ruine, wv ich die Gesellschaft freudig zu überraschen hoffte.

Mein armes Roß war wie aus dem Wasser gezogen. Aber das rührte mich Unmenschen nicht, im Gegenteil, an sei­nem Aussehen mußte Seraphine ablesen, wie groß meine Hast, meine Ungeduld lind demnach auch meine Liebe war.

Der Empfang war denn auch voll ihrer Seite der liebens­würdigste voll der Welt. Im Augenblicke meiner Ankunft war ich in Wahrheit von ihrer Neigung so überzeugt, wie nie zu­vor im Leben. Sie kam mir mit strahlenden Angen, mit ans­gebreiteten Armen, mit lautem Ausruf der Freude entgegen, fast zu strahlend, fast zu laut: denn in dieser köstlichen Mi­nute mußte nicht nur ich, sondern auch mancher andere, der an dieser Sicherheit weniger Freude fand, der Überzeugung werden, daß ich den: schönen Mädchen nicht gleichgiltig sei.

Leider konnte ich den Hochgenuß des Augenblickes nicht so ganz anskosten, wie ich verdient hatte: denn die Sorge für mein überhetztes Pferd zwang mich, unter den Mnnrerbnrschen einen anfzutreiben, der es für Geld und gute Worte eine gute Weile spazieren führte. Glücklicherweise fand ich einen Mann, der bei der Kavallerie gedient hatte und zuverlässig nussah. Aber Suchen und Unterhandeln hatte von der kostbareil Zeit die köstlichste gefordert, in der das erste hochanflodernde Frendenfener verrauchte, bis ich wieder zur Festfeier als werk- thätiges Mitglied zurückkehren konnte.

Auch dann noch war Seraphinens Dank beglückend und ihr Wort begeisternd.

Sie ging an meinem Arm ich war ja ihr Retter ungeniert im Wald spazieren, und wenn die andern gerade nicht dicht nebenher liefen, hört' ich süße Dinge, die ihr der Stolz liild die Freude Angaben, sich also sehr geliebt zu wissen, daß ich selbst eine strenge Strafe im Dienst nicht scheute, um ihr zu gehorchen, wenn sie ries.

Sie kam sich älter, größer, schöner, bedeutender und was weiß ich noch vor und sagte ein übers andere Mal: Heinrich, ich glaub' all Dich und Deine Liebe! Hörst Du? Und dieser Glaube macht so selig!

Ob ich das hörte! Es machte auch mich selig, wenn­schon nicht so ganz; denn alle Worte des Entzückens konnten die Stimme des Soldatengewissens in mir nicht übertänben, die mir unablässig zurief: daß ich von rechtswegen nicht hier­her gehörte. Und dieser Grnndbaß der innereil Stimme disso­nierte so scharf und unablässig gegen die einschmeichelnde Me­lodie der Oberstimme aus Seraphinens Munde, daß ich an dieser zn keiner reinen Freude gedieh lind nach und nach einer etwas getrübten Stimmung anheimfiel, lvie sie den Leuten zu­kommt, die sich gestehen müssen, daß sie eben eine Dummheit begangen, und die doch keine Lust haben, sofort davon zu lassen. Um diese meine Stimmung noch mehr zu verderben, drängte sich mir die Wahrnehmung auf, daß unter denjenigen Fest­güsten, welchen der freudige Empfang meiner unbeurlaubten Wenigkeit von seiten des angebeteten Gelmrtstagskindes gar keine Freude bereitete, sich voran jener verwünschte Hauptmann erster Klasse befand, der mich schon auf dem Ball in meines Vaters Hause halb zur Verzweiflung und nachher mit seinen Fragen imGoldenen Seckel" znm Einschlafen gebracht hatte! Er hatte auch seines Mißvergnügens kein Hehl mir gegenüber und fing gleich damit an, seiner angeblichen Freude ironischen

Ausdruck zn verleihen, daß ich doch noch Urlaub bekommen Hütte, nachdem selbst Fräulein Seraphine wiederholt bedauert habe, daß ich heute bestimmt keines Urlaubs froh werden würde. Nun habe ich doch Urlaub gekriegt . . . (Fortsetzung folgt.,

Aus Geibels Weberger Tagen.

(Mit ungedrnckten Gedichten Emanuel Geibels und seines Vaters.)

Von

KcrrL Gbeoöor: Kcreöerh.

MLKMm ein neues Denkmal reicher wird das altertümliche Lübeck, NM dasjenige Emanuel Geibels. An seinem Geburtstage, 17. Oktober, abends vollzieht sich eine Vorfeier, die weihevolle Enthüllung geschieht am 18.

Palmarnm 1884 entschlief unser großer Lyriker und be­geisterter Vaterlandssänger. Von nah und fern flössen die Beiträge für sein Standbild, das nun, nach fünf Jahren, auf dem Koberg seinen Platz findet, ganz nach Wunsch des Ver­storbenen.

Das beste Denkmal hat er sich selbst gesetzt in seinen Werken: seine volle Kraft und Innerlichkeit, Begabung und Richtung tritt uns hier entgegen. Seine äußere Erscheinung soll fortan die Statue der Mit- und Nachwelt vor Angen füh­ren. Sein Leben und seine Persönlichkeit endlich sucht der Litterarhistoriker zu erforschen und festznhalten.

Viele biographische Arbeiten sind inzwischen über den Liebling unserer Nation erschienen, darunter meineGeibel Denkwürdigkeiten" (Berlin 1886). Nur kurz konnte ich den ungetrübtesten Lebensabschnitt des Dichters berühren, seinen Aufenthalt beim Freiherrn von der Malsbnrg auf Escheberg von Pfingsten 1841 bis Juni 1842. Eine Nichte desselben, welche damals dort wohnte und immer freundschaftlich mit Geibel ver­bunden blieb, hat mir kürzlich neue Mitteilungen ans den Escheberger Tagen anvertrant, denen die Verehrer des gefeierten Toten gewiß gern ihr Interesse schenken.

In Hessen, unweit Kassel, liegt Schloß Escheberg, einst das gastliche Asyl manches Poeten und Künstlers. Der Be­sitzer Freiherr und Knmmerherr Karl von der Malsbnrg war ein Mäcen, wie es deren Wohl nur wenige gegeben hat. Dessen Schwiegereltern, Etatsrat 1)r. .Heinrich von Heintze und Ge­mahlin Henriette geb. von Blome ans Holstein, lebten in Niendorf, einem reizenden Landgute bei Lübeck. Dort zu Be­such, hatte er die Bekanntschaft von Pastor Johannes Geibel gemacht, dessen ergreifende Predigten die Bewohner Niendorfs in die Gottesdienste der kleinen reformierten lübeckischen Ge­meinde Zogen. Im Jahre 1840 sah er auch den Sohn Ema- nnel und faßte gleich den Entschluß, dem jungen Talent zn seiner weiteren Entwickelung Vorschub zn thnn, ihn für längere Zeit behufs seiner spanischen Studien auf sein mit einer statt­lichen Bibliothek spanischer Litteratnr ausgerüstetes Schloß einznlnden.

In dem mit Knnstschützen aller Art geschmückten Hause auf Niendorf wurde es jedem klar, was für ein Geist dort herrschte. Nach den sturm- und schreckensvollen Jahren, die allen in Deutschland mehr oder minder durch Napoleon be­reitet wurden, war der Lebensabend der Familie friedlich und schön; aber oft gedachte sie der furchtbaren Tage, wo auch die alte Hansestadt unter der Knechtschaft geseufzt. Damals leistete Herr von Heintze Lübeck die wesentlichsten Dienste, indem er mit den Machthabern, besonders mit Marschnll Dnvonst, ver­handelte, wobei ihm zu statten kam, daß er in seiner Stellung als dänischer Etatsrat etwas freiere Hand hatte; manche Abwehr von den drückendsten Forderungen verdankte die Stadt dem diplo­matischen Geschick dieses Mannes. Die Privilegien, welche der Senat ihm dafür verlieh, bestehen noch heute zn kraft.*

* So genießen alle Kontrakte seitens der Gntsherrschaft und Ein­gesessenen des Dorfes Stempelfreiheit.