Heft 
(1889) 03
Seite
45
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Deutschland.

.W 3.

Mit welchem Entzücken Emannel Geibel die Einladung nach Escheberg begrüßte, laßt sich leicht begreifen. In eine solche Familie, wie die war, die er in Niendorf kennen ge­lernt, als Gast einzutreten, war schon an und für sich ver­lockend; und nun nahm er auch seinem Vater die Sorge um seine nächste Zukunft mit einem Schlage ab. Pfingsten'1841 kam er nach Escheberg und war bald' ein lieber Hausgenosse und Freund geworden. Sein Lebensschiff, welches so schwan­kend ihn hin und her getrieben, cs warf Anker in einem siche­ren Hafen; aber noch zitterten die Wellen, noch wühlte der Schmerz in seinem Innern nach dnrchkämpften Stürmen. Doch die geistige Atmosphäre, die ihn jetzt umgab, that ihm wohl, und das Verständnis für seine Leiden, welches die welterfahrene alte Frau von Heintze ihm entgegenbrachte, ließ ihn die See­lenharmonie wiedergewinnen.

Da beichtete er unter Thränen seine erste unglückliche Liebe, die plötzliche Trennung von Cücilie Wattenbach, ans die er folgendes bisher unbekannte AbschiedAicd gedichtet:

Ich habe Dich betrübet lind dennoch Dich geliebt,

Ich habe Dich geliebet lind dennoch Dich betrübt.

Ich hielt Dich traut umsaugen,

Da wandtest Du den Blick:

Ich zog mich still zurück Und bin zur fremde gangen.

Ich kehre nimmer wieder,

Was soll die Heimat mir?

Gedanken nur und Lieder Gehn immer noch zu Dir.

Und wenn die Sterne scheinen Im Blau so klar und rein,

Gedenk' ich tätlich Dein lind muß im stillen weinen.

Da druck' ich auch mit Schmerzen

An unsren ersten Kuß,

lind suhl' es tief im Herzen,

Daß ich verwelken muß.

Die Blumen ans meinem Grabe Die sollen ganz allein Dir einst die Boten sein,

Wie ich geliebt Dich habe.

Indessen allmählich stimmte ihn die Fröhlichkeit der auf­blühenden Jugend heiter; und während er sich zu der sinnigen und ernsteren Nichte, der sechzehnjährigen Adelheid von Baum- bach, vertrauensvoll hingezogen fühlte, schlich sich in sein für ! weibliche Anmut so empfängliches Herz fast unvermerkt eine wach- ! sende Neigung für die lebenslustigere, schöne, vierzehnjährige Tochter Henriette von der Malslmrg. Huldigend bot er ihr manches Lied und war beglückt, wenn er beiden jungen Mäd­chen vorlesen durfte.Wie hinreißend schön las er! Wie wirkten die oft eben erst beim Spaziergang entstandenen Ge- ^ dichte erfrischend, erhebend für uns alle!" Die glänzenden - Feste, welche der Kammerherr veranstaltete, erhielten durch ; Geibels Improvisationen erhöhten Reiz; im allgemeinen war ! das Leben auf Escheberg völlig ungezwungen lind ungebunden. Gerade das gefiel und behagte ihm um so mehr, da sein ganzes Wesen sich gegen jedweden Zwang sträubte, er in der Natur schwelgend gern die Zeit verträumte.Wie Hütte seine Muse gelitten, wenn ein Berns ihn an andere Arbeit gefesselt haben würde!" Er vertiefte sich häufig so in das Leben in der Natur, daß er die Stunde manchmal vergaß, die ihn zum ge­meinschaftlichen Mahl heimführen sollte.Noch höre ich scher­zend ihn sich entschuldigen, was die Quelle, der Wald, die Vögel ihm zngeflüstert, wie er Hütte lauschen müssen. War das nicht recht die Lebenslust für einen Lyriker? Noch weiß ich,, wie wir eines Morgens beim Kaffee auf ihn vergeblich warteten. «Der Doktor ist schon im Garten,» meldete die dänische Zofe; «o, der Doktor snüfselt Veilchendnft,» sagte sie mit ihren: echt dänischen Accent." Übrigens stand Geibel mit­unter auch sehr spät auf. Eines Mittags hielt der Tanz­meister aus Kassel, welcher die beiden gnädigen Fräulein ein­übte, es für unerläßlich, nun auch für einige bestimmte Tänze Herren heranzuziehen. Infolgedessen mußte der Diener den

Herrn Doktor bitten, der freilich erschien, aber etwas ver­schlafen, in wenig salonfähigem Anzug, in den ungeordneten Haaren noch etliche Daunenfedern: er hatte noch gemächlich der Ruhe in seinem Himmelbett mit den schneeweißen Vorhän­gen gesiegt. Da ihm Talent znm Tanzen, wie sich jetzt her­ausstellte, abging, wurde er in Zukunft verschont.

Sein Zimmer, drei Stock hoch gelegen, stieß an den Biblio- theksanl und hieß diePoetenstube." Es ließ sich Wohl darin Hansen; gute Ölgemälde hingen an den Wänden, altertümliche Möbel bildeten die bequemste Einrichtung. Mit des Herrn Doktors Ordnungssinn erklärte sich das .Hausmädchen im ganzen zufrieden, bloß die vielen Papiere, die auf den: Fuß­boden umherlagen, verursachten ihr manchen Seufzer. Endlich vernahm sie, daß dieselben nicht von neuem auf den Schreib­tisch gelegt zu werden brauchten, sondern getrost ausgefegt wer­den könnten. Das geschah denn leider! auch, bis einst die jungen Damen davon erfuhren und nun das Fortgeworfene heimlich aufhvben. Die also geretteten Blätter, in Quart­format und herrlicher Schrift, enthalten drei ungedruckte Ge­dichte sowie zahlreiche Varianten zu bereits veröffentlichten; auch vergrößert sich ihr Wert dadurch, daß meistens Ort und Jahr der Abfassung bemerkt ist, was für die Chronologie der einzelnen viel bedeutet.

Ungedrnckt blieb eine Romanze vom Spiel mann. Wir kennen drei derartige Lieder von Geibel, schon ans den Jugend- gcdichtenSpielmanns Lied," dann in den Spütherbstblüttcrn Der Spielmann" undSpielmanns Heimkehr." Die noch unbekannte Romanze, mit der AngabeBerlin" und ans- radierter Jahreszahl (1836), lautet folgendermaßen:

Die Nachtigall hat die ganze Nacht Gesungen von Sehnsucht und Schmerz;

Der Spielmann hat tüchtig sie ausgelacht,

Er rührt nur die Zither im Scherz.

Hell blitzt die Sonne durchs Waldesgrün,

Der Spielmann wandert in Ruh;

Die Lieder wie lustige Funken ihm sprühn,

Die Bäche rauschen dazu.

Und als er tritt in die Schenke hinein,

Ist Reigen beim Erntekranz;

Da labt er sich erst am funkelnden Wein,

Dann mischt er sich unter den Tanz.

Ein schwarzbraun Mädel ergreift er am Arm,

Hat Augen wie Kohlen so hell,

Ihm wird es so eigen, ihm wird es so warm,

Er herzet und küsset sie schnell.

Doch wie er muß scheiden nach kurzer Ruh,

F-icht's fast, wie Thränen, ihn an;

Ei, Spielmann, närrischer Spielmann Du,

Was hat Dir das Mädel gethan?

Da singt es von ferne wie Sehnsuchtsschall,

Weiß nicht, ob das Lied ihm gefällt;

Im Busch da flötet die Nachtigall,

Und der Spielmann der zieht durch die Welt.

Das zweite verschollene Lied trägt weder Über- noch Unterschrift:

Drückest wieder Du die Laute,

Stiller Freund, mir in die Hand;

Ach, seitdem ich Dich nicht schaute,

Hat sich mancherlei gewandt!

Siehst Du nicht den Blick so trübe,

Nicht die Wangen so verblaßt?

In dies Herz anstatt der Liebe Zog der Gram, der dunkle Gast.

Glückt es auch, ihn wegzuscherzen,

Meinen Tonen stundenlang;

Doppelt kehren neue Schmerzen,

Wenn verscholl der letzte Klang.

Nach der Jugend alten: Glücke Schweift umsonst der Wunsch hinaus;

Ach, und eine solche Lücke Füllt sich nicht mit Liedern aus.

Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir diese Verse in die Zeit nach seinen: schmerzlichen Bruch mit Cücilie setzen. Wie sehr und schwer er darunter litt, aber wieviel mehr nvch seine