Heft 
(1889) 03
Seite
59
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Deutschland.

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in der malerischen Beschreibung des abendlichen Srraßenlebens wird der Verfasser kaum vvn einem deutschen oder ausländischen Nebenbuhler über­troffen. Die Hauptgestalten freilich, au denen die Tendenz des Romans klar werden soll, sind trotz scharfer Charakterisierung doch nicht leibhaftig genug, wenn man auch bei einem dieser Pastoren das unfreiwillige Mo­dell mit Fingern weisen wird. Es ist aber auch diese Figur in all ihrer Häßlichkeit mehr Idealbild als Porträt. Bor etwa drei Jahren erschien unter dem Pseudonym Gotthold Ephraim Walter (Ernst Hermann) eine verwandte Erzählung,Kandidat Müller." In diesem viel zuwenig bekannt gewordenen Buche findet sich alles, was dein Dichter derBerg­predigt" fehlt: die intimste Kenntnis des modernen deutschen. Pastoren­lebens, und bei aller Ironie eine gewisse Liebe zu dem Stande, dessen. Söhne, die Söhne deutscher Pastoren, einst die deutsche Litteratur ge­schaffen haben, und der heilte die deutsche Litteratur bekämpft. Die leb­haften Farben freilich, über welche Max Kretzer verfügt, würde man bei Gotthold Ephraim Walter vergebens suchen und wünschen. r.

Frau Tannhlinser. Novellen von H. Dohm. - Breslau, S. Sch vttlac über. 1890.

Lesstng sagt:Sie müssen keinen Bart haben, die holden Mäd cheii, sie mögen uns treu sein oder nicht!" Das hat die Dichterin für ihre Mädchengestalten beherzigt) sie sind teilweise starke Seelen, aber sie streifen nicht das Weibliche ab. Die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft ist schweren Gefahren ausgesetzt, Gefahren, die sowohl durch die häusliche Erziehung, wie durch die Teilnahmlosigkeit der Männer, die in der Ehe nur eine Form der Lebensversicherung > mit möglichst großem Gewinn erblicken, bedingt sind. Darf man es der Frau verargen, wenn sie yro llomo spricht? Gewiß nicht, aber daß sie es thut, zeigt der Ausgang dieser vier Novellen. Nur Frau Tannhüuser, die eigentlich keine Schuld auf sich geladen hat, als daß sie ihrem Gatten zunächst probeweise davongelaufen ist, gesteht ihr Unrecht eilt und kehrt zurück. Die Heldinnen der niederen Erzählungen leiden unter dem Fluch des Nichtverstandensteins und gehen zu Grunde.- Die Armen! Ihre Liebe war an Unwürdige verschwendet. Die Ver­fasserin schildert die weiblichen Gestalten mit einem solchen Liebreiz, daß man ihrem Talent psychologischer Darstellung nur Lob spenden muß. Aber warum zürnt sie der Männerwelt so? Sie raubt da­durch ihren Novellen einett Teil der Lebenswahrheit, welchen wir selbst bei der größten Kunstleistuiig heute nicht mehr missen mögen.

findet sich ein Schmetterling, der ohne Not in blinden: Sammeleifer mit anfgespießt worden ist. Das Büchlein fordert übrigens geradezu zur Illustration heraus. Nur daß Leser, welche Bilderbücher zu begucke:: lieben, für Tandems tiefere Absichten kein rechtes Verständnis haben werden. ü

Adam Mensch, Roman von Hermann Conradi. (Leipzig, Wilhelm Friedrich.)

Der Verfasser, welcher die Bestrebungen des modernen grünen Sturms und Drangs auf seine Fahne geschrieben, hat den Titel für seinen Roman von Paludan-Müllers großer epischer DichtungAdam Homo" erborgt) das ist aber auch das einzige Gemeinsame zwischen beiden Werken. Was Conradi mit seinem Ada::: Mensch beabsichtigt, darüber wird sich kein unbefangener Leser klare Rechenschaft geben können: will er seinen Helden als satirisches Zerrbild oder als Ideal­bild eines Menschen der Zukunft gefaßt, wissen? Jedesfalls betrügt sich. dieser Adam so, daß nun: nur darüber in: Zweifel bleibt, ob er mit mehr Recht in ein Tollhaus oder in ein Zuchthaus gehört.Er stand über allen .... Er war nicht verpflichtet, ein Opfer ihrer lächerlichen ! Subalternmoral zu werden." Alles bei ihm ist Stimmung) er giebt sich jeden: Impulse ohne Besinnung hin) was er soeben leidenschaft­lich geliebt hat, ist ihn: in: nächsten Augenblicke gleichgültig und lästig) und mit nacktester Schamlosigkeit thut er seinen Gefühlen nie einen Zwang an. Wir hören, daß er sich mit den tiefsten philosophischen und ethischen Problemen beschäftigt, daß er sozialpolitische Broschüren schreibt) seine Großthaten aber, die uns im Roman vor Augen ge- ^ führt werden, bestehen darin, daß er von einer Liebschaft zur andern taumelt und sich nicht das mindeste Gewissen daraus macht, ein Frauen- leben, nachdem er keinen Genuß daraus gesogen, ruchlos zu verderben. Zun: Schluß macht er übrigens noch eine gute Partie, indem sich eine reiche, schöne Witwe den Sünder in ihre Arme nimmt: Glück aus den Weg! Selbstverständlich sind alle Situationen mit gebüh render naturalistischer Unverfrorenheit nusgemalt. Und die Personen, welchen gelegentlich ein so seltsames Ding wie eineetwas belegt ans- gesranste Stimme" zu Gebote steht, verkehren miteinander in einer eigentümlich unruhigen, zerrissenen Sprache, die mit Vorliebe mitten ^ in den Sätzen abbricht, wodurch wahrscheinlich der Ton ungezwungener ! Unterhaltung naturalistisch gekennzeichnet werden soll. Das Unerguick- ! lichste an einen: solchen litterarischen Erzeugnis ist, daß es immerhin von einen: gewissen Talente zeugt, welches leider auf so niedrigen und widrigen Irrwegen zu Grunde gehen muß. b-

Minnen und Sinnen, Gedichte von Max Bittrich. (Nich. Hoffmanus Verlast, Forst i. d. L., 1889.)

Robert Haiiierling hat seine bekannte Sammlung anonymer Liebes­liederSinnen und Minnen" genannt: Max Bittrich dreht den Spieß um, womit schon angedeutet ist, daß bei Hamerling das Minnen, bei Bittrich das Sinnen etwas vernachlässigt worden sei. Die eigentlichen Liebesgedichte des kleinen Bündchens sind so süßlich, daß man ans Ver­zweiflung beinahe an der Kellnerinnen -Poesie der Neusten, welche sich in Lokalen mit Damenbedienung grenzenlos erdrensten, Gefallen finden könnte. Die wenigen realistischen Verse, welche sich in die Reime von Minnen und Sinnen" verirrt haben, bezeugen ein kleines, aber an­sprechendes Talent. Möge dem Verfasser das Sinnen immer leichter werden. -- r-

Schmetterlinge, von Felix Tandem (Karl Spitteler). (Ham­burg, Verl aps anstatt von Richter, 1889).

Wenn ein Dichter vorher anfragen wollte, ob er die schönsten Schmetterlinge unserer Heimat in einer Reihe vvn dreißig bis vierzig kleinen Gedichten beschreiben dürfe, so müßte er sich von jedem ver­nünftigen Kunstfreund warnen oder anslachen lassen. Dasirdische Vergnügen in Gott" ist, sollte man meinen, seit mehr als hundert Jahren ein überwundener Standpunkt und in der Beleuchtung darwi- nistischer Lehren überdies eine große Unwahrheit. Felix Tandem, der schvn früher Werke von ungewöhnlicher Gedankenpoesie veröffentlicht hatte, schrieb dennoch seineSchmetterlinge" und hatte recht. Freilich sind ihn: die einzelnen schönen Falter nur Symbole, an welche er an­knüpft, um bald eine Fabel, bald eine moderne Eheskizze, bald ein keckes Liebeslied, bald ein Epigramm zu dichten. Nur ganz vereinzelt

Briefkasten üer Beda kt ton.

Herren B. in G. und A. in B. Das Versehen des Postbeamten, der Sie. anstatt auf unserDeutschland" auf ein gleichnamiges politisches Lokalblatt abonniert hat, ist wohl verzeihlich. Die obere Behörde wird in ihrer sprichwörtlichen Findigkeit gewiß nicht im Zweifel darüber sein, was sie zu thun hat, um die Verwechselung wieder gut zu machen. Unsere Wochenschrift ist wie auf jeder Nummer zu lesen in: 13. Nachtrag der Post-Zeitungspreisliste unter Nr. 1694 o. aufgeführt.

Herrn F. in Paris. Besten Dank für die Einsendung der franzö­sischen Blätter, welche sich mit den: ArtikelDie Teilung Frankreichs" (in Nr. 1 unseres Blattes) so eingehend beschäftigt haben. Was Herr Jacques St. Core imFigaro" über Spielhagen, Hopfen und den Her­ausgeber vonDeutschland" sagt, beweist nur, daß er mit französischen Augen sehen gelernt hat. Die Übersetzung des Artikels in Tissots «LcRo cke M 8tzinains» ist vollständig ehrlich. In: übrigen brauchen Sie nicht daran zu zweifeln, daß auch wir einen guten Frieden dem siegreichsten Kriege vorziehen.

Herren L. in M. und R. in L. Sie gestehen uns beide Ihre Neigung für das Auflösen von Rösselsprungrätseln (was SieGymnastik des Geistes" nennen) und stellen uns zugleichdurchdachte" Rösselsprung- ausgaben zur Verfügung: nur müssen wirklich verzichten. Aber Sie kön­nen Ihre beiderseitigen Adressen durch uns privatim erfahren. Sie mögen einander dann täglich neue Rösselsprnnganfgaben und deren glückliche Lösungen gegenseitig zusenden und ähnlicheGymnastik des Geistes" treiben, ohne unser:: Lesern Kopfschmerzen zu verursachen.

? in CH. Sie haben recht;Himmel" undSchimmel" ist ein tadelloser, guter, ja erfreulicher Rein:. Aber das an diesen guten Rein: angeknüpste Gedicht ist leider schlecht.