Heft 
(1889) 22
Seite
380
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Deutschland.

oder wie immer, muß er mag wollen oder nicht Finder und Er sinder sein, gerade so wie der Mensch er mag wollen oder nicht Hammer und Amboß in jedem Augenblicke seines Lebens sein muß." Wie sich das Finden und Erfinden bei Spielhagen gezeigt, das sollen dieseErinnerungen aus »reinem Leben" darthun; es ergiebt sich also sofort, daß wir es wenn auch nicht ausschließlich, so doch zu allermeist mit einer litterarischen Biographie zu thun haben. Spiel Hagen betrachtet alle Geschehnisse seines vielgestaltigen Lebens mck> .--gieoio tutui'i P 06 tae. Er sucht aus der Erinnerung NN das kleinstädtische Stralsnnder Gesellschaftsleben, aus den Anregungen, die den: Knaben der Aufenthalt aus dem Lande und besonders auf der See gegeben, rückschauend die Keime zu finden, aus denen dann die große dichterische Thätigkeit des Mannes entstanden, dessen Werdeprozeß uns dieses Buch ebenso anschaulich wie interessant vorfnhrt. Mit behaglicher Freude be­richtet Spielhagen von der poetischen Bethätigung des Knaben bei den Aufführungen seines Puppentheaters oder wie er, als diese Bühne seinem Schafsenstriebe nicht mehr genügte, ein für die Aufführung durch seine Brüder bestimmtes, an das Kosinsky-Motiv derRäuber" sich anlehnendes Drama schuf, wie er in lyrischen Gedichten und in Novellen sich versnclste, ja sogar mit einem Schulfreunde stundenlang die ästhetischen Gesetze poetischen Schaffens erörterte. Der Knabe hatte diese Allotria getrieben wie Essen und Trinken frei," weil er nicht anders konnte, weil es - so berichtet der Biographeben die Nahrung war, nach der meine Seele verlangte." Spielhagen ist ganz damit einverstanden, wenn man in diesem Fabnlicrnngsdrange des Knaben die ersten Regungen der Dichternatur sehen will. Bei der Prüfung der Verhältnisse Stralsunds kommt er zu dem Schluß, daß wenn ihn das Schicksal zu einem Dichter machen wollte, es ihm wenigstens die ersten vorbereitenden Stadien der Laufbahn schicklich geebnet und bereitet hat. Er freut sich noch in der Erinnerung an die Vertraulichkeit, mit der ihn der weibliche Teil der Stralsnnder Gesellschaft behandelt hat, und es erscheint ihm jetzt, als hätten die Menschen seinen künftigen Berns geahnt und ihm daraus ein Vertrauen kreditiert, das seiner Jugend noch gar nicht znkan:.

Noch mehr natürlich als der Knabe steht der Student Spielhagen im bewußten Dienste seiner litterarischen Zukunft. Diese ganze Auf snssung Spielhagens bildet einen scharfen Gegensatz zu der Gutzkows - einen Gegensatz, den man nach vielen Seiten hin erweisen könnte. Ein dichterischer Trieb veranlaßt Spielhagen, die ihn umgebenden Fn- stände zu schildern, während Gutzkow von den ihn umgebenden Zuständen gedrängt wird, dichterisch zu gestalten. In seiner ganzen Schärfe tritt dieser Gegensatz vor allem in der Darstellung zu Tage, die beide Männer von ihrem Werden geben. Spielhagen ist in seinenErinnerungen" immer daraus bedacht, die Kontinuität seiner rein litterarisch dichterischen Entwicklung darzuthnn, während Gutzkow in seiner Autobiographie (das häßliche Wort ist doch immer noch besser als die schreckliche Mischung Selbstbiographie") und ebenso in seinen Vorreden und Nachworten im­mer wieder das politisch-publizistische Element seines Schaffens - - und zwar bis zur Ungerechtigkeit gegen seine rein poetischen Leistungen unablässig betont. Aber auch in der Art, wie sie sich zu ein und der­selben Erscheinung stellen, giebt sich die grundsätzliche Verschiedenheit bei der Ingenien kund. In den Berliner Mürztagen von 1848 vergißt Gutzkow, fast ein Vierziger, seine Familie und seine Dresdener Hofthea terstellung und fordert in einer Ansprache vor dem Berliner Schlosse zur Bewaffnung des Volkes ans und fast zu derselben Feit schreibt Spielhagen, der neunzehnjährige Student, nachdem er sich am Frühlings­regen berauscht, einige Verse und sendet seinem Freunde eine eben fertig gewordene Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele.

Der bis jetzt allein erschienene erste Band derErinnerungen" reicht bis zum Abschluß von Spielhagens Stndentenjahren, bis zur Ent stehung der NovelleClara Vere" also bis zum Ende der Lernjahre und dem Anfang der Dichterlanfbahn. Dieser erste Band enthält mehr als vierhundert Seiten das allein beweist schon, daß Spielhagen sich hier nicht auf die Darstellung seiner Schul- und Studentenzeit beschränkt, sondern eine Fülle weiter Ausblicke bietet. Neben großem stofflichen Interesse die Schilderung der Kleinstadt, der Universitäten, die Vor­führung eines Lassalle, Carl Schurz u. a. übt das Buch aber auch rein litterarisch sehr intimen Reiz aus. In dieser Darstellung seines Lebens weicht Spielhagen niemals der eingehenden Diskussion der im

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Lauf der Darstellung sich ergebenden ästhetischen, litterarischen, gesell­schaftlichen, politischen Fragen aus. Das Buch ist einechter Spiel­hagen" mit all den großen Vorzügen, die dieses Dichters Arbeiter! ans­zeichnen, während das, was dem Rvmanleser sonst bei Spielhagen mit unter als störend erscheint, hier nur die erfreuliche Behaglichkeit der Darstellung verstärkt. Es ist einechter Spielhagen" in dem freien Walter: des subjektiven Stils, in seiner breiten Landschaftsmalerei, seiner treffenden Charakterisierung von Land und Leuten, selbst in seiner Freude an reichlichem Citieren. Auch wo mau einer oder der andern Lieblings these des Verfassers derTechnik des Romans" nicht znstimmen kann, auch wo man zu Spielhagens Ablehnung moderner Litteratnrerscheinuri gen eine andere Stellung einnehmen muß, auch da wirkt das Buch viel fach gerade klärend und belehrend. Es ist ein durchweg anregendes und im besten Sinne interessantes Buch es verdient einen großen: und aufmerksamen Leserkreis und läßt uns die weiteren Bände als eine sehr willkommene Gabe erwarten:. ^l.

Goethe in Polen. Ein Beitrag zur allgemeinen Litteratnrge- schichte von Gustav Karpeles. lBerlin, F. Fvntane, lB>«>.)

Das ist eine gar fleißige Zusammenstellung alles dessen, was man etwa unter den einen Hut: Goethe in Polen, bringen kann. Erstes Kapitel: Goethes Reise in Polen: zweites: Goethe und die Polinnen in Karlsbad, Marienbad und Weimar; drittes: die erste Fanstanfführnng in Berlin, bei der Fürst Radziwill sein Pole!) hervorragend beteiligt war: viertes: Polnische Dichter in Weimar und ihre Urteile über Goethe ; fünftes: Goethes Einfluß ans die neuere Polnische Litteratur, nebst ein! gen lehrreichen Bemerkungen über die polnische Litteratur in: allgemei­nen. Das ist ein Konglomerat sehr vieler, meist sehr interessanter Dinge, aber es ist kein Buch, dazu macht es einen zu unästhetischen Ein druck. Der Gesichtspunkt, den sich der Verfasser wählte, der Goethesche, Paßt nicht immer aus Polen, und der polnische nicht auf Goethe. Darum werden sich mit den: Buche schließlich auch nur zweierlei Menschen zu befassen yaben, denen es als Zusammenstellung sonst zerstreuter Mit teilnngen ganz gute Dienste leisten kann: die Erforscher Gvetyes und Polens. Als dritter natürlich der Recensent. l.

Das Hohelied vom deutschen Professor oder des berühmten Archäologen Balthasar Schweiincke. Humoristische Blätter von Ernst Eckstein. Sechste Auflage. ^Leipzig IGllh Verlag von Carl Rechner.)

Es ist fünfzehn Jayre her, seitdem Ernst Eckstein mit seiner Gymnasiastengeschichteder Besuch in: Karzer" einen großen, wohlfeilen Erfolg errungen hat: seitdem hat er die Reihe nachgeahmter Römer roniane mitunter durch solche burschikose Humoresken oder durch deren neue Auslagen unterbrochen, so daß sein Ruf als Humorist der Latein schule kann: nachgelassen hat. Das vorliegende Bändchen, dessen Ans lagenzahl weiter nicht überraschen kann, giebt eine gute Vorstellung von den: Humoristen Ernst Eckstein. Eine ungewöhnlich glatte Form, Be herrschung der antiken und der modernen Bersarten, dazu ein leichter Bierhumvr, wie er bei den kleinen Festen von Studenten: der Philologie beliebt ist. Die hübsche Form würde allein den Erfolg nicht erklären; dieser wird erst ermöglicht durch eine Reihe kleiner Unanständigkeiten oder Frivolitäten, welche zwischen den: ii: der bürgerlichen guten: Gesellschaft Erlaubten: und Unerlaubten vergnügt die Mitte halten. Will man die Absicht des Büchleins ernst nehmen, so muß man allerdings sagen, daß die Satire ihr Ziel vollkommen verfehlt. Ecksteins deutscher Professor, der unaufhörlich mit klassischen Citaten um sich wirft, sich bei jeden: Worte lächerlich macht, nach Mitternacht besoffen nach Hanse kommt und das Dienstmädchen in die Wangen kneift, das ist die veraltete Schablone, wie sie in den ältesten Jahrgängen der Fliegenden Blätter und in Benedixschen Lustspielen beliebt war. Die Urbilder dafür mögen noch da und dort ans kleinen Universitätchen den Anssterbeetat belasten, den modernen deutschen Professor aber trifft dieser Spott nicht mehr. Der ist gegen die Satire durchaus nicht gefeit, wohl aber gegen diese Harn: lose Art. -r.

Verantwortlicher Redakteur: Fritz Manthner in Berlin >V., Frobenstrahe 33. Druck und Verlag von Carl Flemming in Glogan.