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Deutschland.
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Aufgabe getreu, für die inuere Freiheit alles Menschentums zu kämpfen.
Paul Heyfe ist in den letzten Jahren von den Auti- romantikeru zur Zielscheibe genommen worden; mehr um seiner Vorzüge als um seiner Schwächen willen ist er der Mittelpunkt aller Angriffe, welche von ernsten litterarischen Revolutionären ebenso wie von unreifen Lärmmachern gegen die alte Welt einer verblassenden Schönheit ausgehen. Da Wilbrandts neuer Roman zu seinem Unglück in allen großen und kleinen Zügen an Heyses mächtigstes Werk erinnert, so schien die Gelegenheit günstig, wieder einmal darauf hinznweisen, daß die Ablehnung von „Adams Söhnen" nicht einer ästhetischen Pedanterie zuliebe erfolgt, sondern ans dem Gefühle heraus, daß diesmal die Kraft der Persönlichkeit nicht groß genug war.
Kleine Kritik.
Epilog eines Puritaners znm Berliner Schützenfest. Mit Entsetzen fuhr ich mir jüngst über meinen Rundkops, als ich in der Zeitnng die Nachricht las, das Kleid einer Ulmer Dame, die beim Münsterfest mitwirkte, koste 10000 Mark! Wundt ist mit Recht der Ansicht, daß so schlechte Verwaltung des anvertrauten Gutes moralisch mindestens so verwerflich ist, als Diebstahl, und so gebe ich mich der Hoffnung hin, daß solches wenigstens in einigen Jahrzehnten nicht mehr möglich ist, da es sonst vom Strafrichter geahndet würde. — Die Erinnerung daran verfolgte mich, als ich letzten Sonntag in Erwartung des Schützenzuges ans der Straße stand. Sollte es doch auch nicht ein bloßer imposanter Einzug der Schützen werden, sondern wieder einmal ein „historischer" Aufzug. Nun, die Berliner haben es sich so viel nicht kosten lassen, aber immerhin kam, wer ästhetischen Genuß oder dergleichen suchte, nicht auf seine Kosten. So ein Festzng ist überhaupt nichts als das krampfhafte Bestreben der Gegenwartsmenschen, die Geschichte zum Stillstand zu bringen; aus allen Kräften schreien sie: Halt! hier ist eine Epoche! hier ist etwas ganz Besonderes! und damit sie das selber glauben und womöglich auf die Nachwelt einen Eindruck macheu, veranstalten sie eiueu Festzug. Das kommt mir gerade so vor, wie das Geschrei, das die wilden Völker bei einer drohenden Sonnenfinsternis erheben: sie glauben den bösen Wolf dadurch zu verhindern, die Sonne zu fressen. Und richtig: es ist immer wieder Tag geworden. — Im übrigen ist ein solcher Zug besonders geeignet, die Leidenschaften der Masse unnötig zn erregen, nämlich dadurch, daß die Leute so lange auf der Straße warteu müssen: mancher besonnene Familienvater wird es, wenn er nach Hause kommt, gar nicht mehr begreifen wollen, daß er ohne einen vernünftigen Grund mit wildfremden Menschen Streit bekommen hat.
Solche Massenwirkuug ist von Übel. Etwas anderes ist es um die große und edle: erhebend wirkte auf die Tausende, die in der großen Festhalle am Montag abend versammelt waren, der Gesang des Märkischen Sängerbundes: 800 Mäunerkehlen wirkten da in patriotischen Liedern zusammen, um den Gesamtgeist zu erwecken, und die Wirkung war mächtig.
Jur übrigen war aber auch in der Festhalle manches wahrzunehmen, das mein puritanisches Herz verletzte. Getrunken ward nur Wein. Ich tadle das nicht allein darum, weil er den Genuß verteuert, sondern weil er ihn verschlechtert. Wein ist überhaupt kein Massengeträuk und sollte nur tu kleiner Runde getrunken werden. Denn bei Massengelagen ist der Rausch unausbleiblich, und ein Weinrausch ist so viel abscheulicher als der Bierrausch. -
Noch weniger gefallen konnte mir die Begleitung, die sich mancher graue Schütz, dem der glatte Reif am Finger glänzte, gewählt hatte: ich bekam fast den Eindruck, als ob dein großen Schützenkongreß parallel ginge eine internationale Versammlung gewisser Dämchen. Und immer wieder während der Festwoche kam mir die Erinnerung an die Stelle aus Ibsens „Gespenstern": „Haben Sie denn niemals gehört, wie diese Ehrenmänner bei ihrer Heimkehr sich über die zunehmende Unsittlichkeit
im Anslande ausgesprochen haben? . . . Man kann ihnen getrost aufs Wort glauben. Sie sind zuweilen sachkundige Leute!" —l.
Endymion. Von Earl vfBenevnsfield (Benjamin D'Jsraeli). Aus dem Englischen von Professor I)r. C. Nötiger. Autorisierte deutsche Ausgabe. Zweite Auflage. (Drei Teile. Leipzig. F. A. Brockhaus 1890.)
Disraelis Romane sollen in England sehr beliebt sein oder wenigstens gewesen sein. Wenn sie aber alle sind wie dieser Endymion, so sind die Engländer in dem Fall um ihren Geschmack wahrlich nicht zn beneiden. Etwas Langweiligeres und üderes läßt sich nicht denken. Vom Standpunkt der Poesie und der Politik aus ist er gleich wertlos. Die Gestalten sind samt und sonders kraftlose Schwätzer, es fehlt jede Spur einer gesunden Sinnlichkeit. Den liebenswürdigen Esprit und die Grazie der Seribeschen politischen Damen und Herren lassen wir uns gerne gefallen, aber auch davon ist im Endymion nicht das mindeste zu finden. Immer nur endloses Gerede dieser Politiker und ihrer
Freundinnen, zwischen denen, wie es im sittenreinen Albion selbstverständlich ist, nur politische Beziehungen walten. Darum herum eine faden scheinige, gänzlich uninteressante Handlung. Der Roman ist nur als Schlafmittel zu benutzen. Dazu aber genügt auch ein einbändiges Werk.
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Fallobst. Wurmstichige Geschichten von Heinz Tovote.
(Berlin, Verlag von Ad. Zvberbier, ^V., Mohrenstraße 10, 1890.)
Der Verfasser erklärt in der einleitenden Geschichte die Bezeichnung „wurmstichig" folgendermaßen: „Was ich hier biete, will eben nichts Besseres und nichts Schlechteres sein, als vom sausenden Winde mutwillig vom Baume geschütteltes, mit weiser Vorsicht zu genießendes Fallobst." Was man also zuerst für Originalitätssucht und Reklamebedürfnis hielt, stellt sich nachträglich als ein bescheidenes Geständnis heraus. Immerhin aber wäre es, nur Mißverständnisse zn vermeiden, besser gewesen, etwa den Ausdruck „unreif" zu wählen. — Übrigens, inil ernst zu werden: wenn Tovote seine Skizzen wirklich für so schlecht hält, warum bietet er sie uns eigentlich an? „Mit Vorsicht zn ge- genießen?" Warum wirft er die faulen Früchte nicht weg und wartet, bis die reifen kommen? Denn das muß doch endlich einmal gesagt werden, daß cs nicht genügt, daß ein Buch uns zeigt, der Verfasser hat Talent. Das zeigt auch dieser schwefelgelbe Band, aber selbständigen Wert besitzen die Geschichten, wie Tovote richtig erkannt hat, nicht den mindesten. Wir können also nur raten, und hoffen im Einverständnis mit dem Autor zn handeln, dieses Fallobst nicht einmal mit weiser Vorsicht, sondern gar nicht zu genießen. Der Maler behält sein Skizzen buch für sich, und auch der Dichter braucht sich nicht in seine Werkstatt sehen zu lassen. Was uns hier geboten wird, sind sehr brauchbare Motive für größere Werke, vielleicht auch Abfälle und Schnitzel sin der Zunft „Paralipomena" genannt) eines schon fertigen Werkes; wenigstens ist auch das Thema dieser vom Baum der Erkenntnis gefallenen unreifen Früchte nur Liebesrausch.
Demnach dürfte es unnötig erscheinen, das Talent des Verfassers, das, wie gesagt, auch hier sich zeigt, näher zu charakterisieren. Nicht nur unnötig, auch gefährlich für ihn: er ist sowieso schon bedenklich in Gefahr, daß seine guten Eigenschaften in Manier ausarten. Man betrachte nur die folgende Farbenschachkel, wo die Fülle der Beiwörter jede lebendige Anschauung ertötet.
„Von den Kirschbäumen, an deren schwarzen Ästen sich kleine, hellgrüne Blätterknospen schüchtern entfalteten, fielen die schneeweißen Blüten auf den von den ersten wärmenden Strahlen der Frühlingssonne erweichten braunen Boden."
Ein ähnliches Beispiel befindet sich auch Seite o. Das ist die Kehrseite seiner Schilderungstunst.
Seine Sprache ist im allgemeinen einfach und nicht besonders reich, obwohl Tovote bestrebt ist, niederdeutschen Neubildungen Eingang zu verschaffen. Das kann er aber nur erreichen, wenn er Bücher schreibt, die nicht „mit Vorsicht" zn genießen sind. —I.
Verantwortlicher Redakteur: Fritz Mauthner in Berlin Frobenstratze 33. — Druck und Verlag von Carl Flemming in Glogau.