Heft 
(1889) 42
Seite
699
Einzelbild herunterladen

M 42.

Deutschland.

Seite 699.

Wirtshausschild genau zu kennen vorgiebt, sein prosaisches Mecklenburg dagegen wie ein romantisches Fabelland behandelt. Im Salzburgischen erfahren wir ans Schritt und Tritt, wo wir uns befinden, ein Tourist könnte den Helden des Romans überallhin nachgehen, wenn er auch ihre Thaten nachzuthun kaum so verbrecherisch wäre; in demselben Stile müßten wir dann die Türme von Rostock, den Breitling, Warnemünde mit dem Strom und dem Spill, den Heiligen Damm, Dobberan n. s. w. nennen hören. Da giebt Wilbrandt aber höchstens leise Andeutungen, und nur wer von Mahn und Ohlerich bis Peter Jungmann zufällig seine Bierstudien ausgedehnt hat, vermag in der einfachen Gegend, in der so unerhörte Geschich­ten passieren, das Rostocker Land zu erkennen. Dem Dichter selbst ist es gewiß unbewußt geblieben, warum er die beiden Landschaften so ungleich und so müssen wir hinzufügen so stillos geschildert hat; wir aber glauben den Grund deutlich zu sehen. Er kennt die österreichischen Alpen recht gut, aber doch nur als Tourist, als Fremder, als ein Wanderer, der sie in erhöhter dichterischer Stimmung durchstreift, der mit Maler­augen auf ihre Berge und in ihre Thäler geblickt hat und der sich darum einbildet, in seinen Erinnerungen gerade den farbigen Abglanz davon zu besitzen, der zwar nicht das Leben, aber dafür just die Kunst ist. Er glaubt darum in der Dar­stellung hier so realistisch wie nur möglich sein zu dürfen und verwendet fleißig alle seine Reiseeindrücke. Umgekehrt ist ihm das Stückchen Erde zwischen Rostock und Heiligendamm so ge­läufig, daß er sich vor der Prosa fürchtet und sich einbildet, die Kunst verlange etwas Verschwommenheit; daher die blassen Farben, die unbestimmten Linien und das Spielen mit Anfangs­buchstaben. ^

Der Hinweis auf eine so offenbare Ltillosigkeit wäre über­flüssig, wenn sie nicht typisch wäre für solche Dichter, die gegen ihr eigenes besseres Gewissen in den Anschauungen der Romantik stecken geblieben sind und selbst dann, wenn sie ihr modernes Empfinden äußern möchten, im Banne dieser alten Schule bleiben. Adolf Wilbrandt ist mit seinem ersten Romane ein­fach zu spät gekommen. Alles was diese Gattung vermag, hat Paul Heyse in seinen beiden großen Romanen erreicht, und auch Heyse beinahe gegen die Fähigkeit der Gattung, nur durch die Kraft seiner Gedanken und durch die Schönheit seiner Sprache.Adams Söhne" liest sich wie eine schwächliche Wiederholung von Heyse, wie denn auch der Titel nichts weiter ist als eine Umschreibung vonKinder der Welt." Und nicht einmal eine ganz richtige Umschreibung; denn auch Adolf Wil­brandt meint nicht den alten Adam, sondern die neue Frau Welt, und er zeigt uns nicht deren Söhne allein, sondern auch deren Töchter, weil doch ohne bunte Reihe ein ordentlicher Roman mit seinem erfreulichen Ausgange nicht zu stände käme.

Die vielgeslochtene Handlung dieses Romans selbst so viel geflochten, daß man zwei Zöpfe in dem stattlichen Kunst­werk durcheinander gehen sieht nachzuerzühleu, das wäre eine Aufgabe für den Spötter oder für denjenigen, der aus einem verunglückten Romane ein schlechtes Theaterstück Heraus­schneiden wollte. Aber zum Verspotten ist Wilbrandt zu gut, und daß der Stoff für ein Drama zu schlecht ist, das hat der Dichter selbst bewiesen, da ernur" einen Roman daraus machte. Ursprünglich hat ihm wenigstens für das zweite Buch möchte ich es kühn behaupten ein Schauspiel vorge­schwebt. Ein mecklenburgischer Gutsbesitzer lernt auf einer Reise die schöne Amerikanerin kennen, welche bald sowohl ihn als seinen jugendlichen Sohn bezaubert. Ein bißchen zufällig trifft man sich in Heiligendamm wieder, wo eine Jntrigue geknüpft und gelöst wird, wie sie unwahrscheinlicher wahrscheinlich nicht ansgedacht werden kann. Ein dämonischer Jüngling, der im Verlaufe der Geschichte sogar eine Kellnerin verführt, entpuppt sich als der Gatte der schönen Amerikanerin, ein Geheimrat aber, der diese gern verführen möchte, ist schließlich ihr leib­haftiger Schwiegervater. Ein unmögliches Stelldichein führt dazu, daß der Schwiegervater im Zweikampf und der Gatte durch Selbstmord stirbt. Nun beginnt ein neuer feinerer

Roman, in welchem Vater und Sohn um die schöne Witwe kämpfen. Die bester: Eigenschaften Wilbrandts offenbaren sich, da der Sohn, allerdings erst nach allerlei abenteuerlicher Lebensgefahr, als Werber für den Vater auftritt. Er wurde von Anfang an als Schwärmer dargestellt, der sich im Fasten übte.

Der Aufbau der Handlung ist, wie ich fürchte, nicht zu retten. Aber auch über der: einzelner: Gestalten liegt es wie ein Schleier. Eine ähnliche Kunstüberzeugnng wie die, um deren willen Wilbrandt die Alpenwelt für kunstreif hält, sein liebes Mecklenburg aber nicht, läßt ihn seine Helden alle kolossal, heroisch, alpenmüßig malen; was ihr Leben leitet, was ihre Entschlüsse herbeiführt, das sind nicht alltägliche Seelenkräste. Der Dichter schildert uns äußerlich die Menschen, die wir alle kennen, aber ihre Charaktere stammen samt und sonders aus der Zeit, da Lord Byron sich und die Welt bei allem Welt­schmerz so furchtbar interessant fand. Während in Wirklichkeit die meisten Menschen dumm und trüge dahiulebeu, herdenmüßig, finden wir in all dieser Romantik keinen einzigen Vertreter der Mehrheit; jeder, der an der Handlung beteiligt ist, erweist sich als genial, als geistig hochstehend, oder wenigstens als schlau und leidenschaftlich. Adolf Wilbrandt zeichnet zur Not noch in den Hintergrund die Figur eines österreichischen Bauern hin­ein, seine eigenen Landsleute aber übersieht er, als ob niemals ein Fritz Reuter geschrieben Hütte.

Daß aber Wilbrandts handelnde Menschen nur Gedanken- träger sind, das bedeutet doch wieder anderseits einen Vorzug, um welchen ihn viele von unfern Modernen beneiden könnten. Der deutsche Naturalismus, welcher alle Fehler der ülteru Richtung genau erkannt hat und sie pedantisch vermeidet, setzt sich dafür mit großem Gleichmut der Gefahr aus, au der seichten Geistlosigkeit zu scheitern. Namentlich unter denen, die sich konsequente Realisten nennen, herrscht ein rühmlicher Wett­eifer, jeden geistreichen Einfall, ja geradezu jedes tiefe Wort zu unterdrücke::, und der Natur gegenüber ihre Verehrung durch Unselbständigkeit zu äußern. Diese Herren sind konsequent wie eine Flintenkugel, welche den Lauf verlassen hat. So eine Flintenkugel hat nun ohne Frage ihren Reiz und ihre Wirkung; ich wünschte den Künstler aber etwas belebter, und sollte er dabei an Konsequenz auch Einbuße erleiden.

Zu den Dingen, welche einer Flintenkugel fehlen, gehört auch der Geist und was sonst nach uralter Anschauung zu einer dichterischen Persönlichkeit gehört. Wenn ich die Wahl habe zwischen den ödesten deutschen Naturalisten und den geist­losen, ja geradezu dummen Formtalenten, welche in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren mitunter die größten Saison­erfolge hatten, so sind mir gewiß die Naturalisten lieber, weil sie wenigstens ein Stückchen Natur bieten. Aber wie wir uns selbst in der großen Natur nach stundenlangem, gedankenlosem Genießen plötzlich nach einem Menschen sehnen, wie wir in der stillsten Düneneinsamkeit lyrisch und unter den: nächtlichen Himmel ganz inkonsequent werden können, so daß wir menschen­hungrig mit Lenau rufen:Weil' auf mir, du dunkles Auge," so erweckt die Sorte von pedantischem Realismus in uns noch mächtiger den Wunsch nach geistiger Kost, nachhöherem" Umgang, nach einer überlegenen Persönlichkeit, nach edler Form und stolzen Gedanken. Und so greifen wir dann unseren: ästhe­tischen Bekenntnis zuwider immer wieder nach einem Buche, wie es Paul HeysesKinder der Welt" sind.

Ach so! Na ja, nämlich auch an geistigem Reichtum steht Wilbrandts RomanAdams Söhne" fast so tief unter seinem Bvrbitde, wie er über der freiwilligen oder unfreiwilli­gen Armut der Neusten steht. Wo Wilbrandt an düstere indische Lehren anknüpft und in bedeutenden Gesprächen Un­sterblichkeit durch Seelenwanderung predigt, da spielt Heyse in heiterer Höhe mit Schopenhauerschen Ideen; wo Wilbrandt mit seinen übermenschlichen Helden leicht pathetisch wird, da behält Heyse noch seinen guten Humor; und wo Wilbrandt sich durch einen absonderliche:: Stoff, wie die Eifersucht zwischen Vater und Sohn, reizen läßt, da bleibt Heyse seiner großen