Heft 
(1889) 42
Seite
698
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Deutschland.

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unterbrochen; noch folgen zwei Blatter, welche der Künstler zum Abschluß der zweiten Serie erkoren hat. Unsere Auf­nahmefähigkeit ist spröde geworden, jene kritische Rückschau war zu stimmungsvoller Vorbereitung wenig geeignet, der Blick ist für Mängel und Unzulänglichkeiten geschürft, und auch in uns regen sich leise Zweifel, ob das absprechende Urteil der Klinger- feinde nicht dennoch zu Recht besteht. Vor diesen beiden Werken aber müssen sie beschämt verstummen, vor ihnen treten alle bisherigen Eindrücke zurück. So spontan und gewaltig vermag nur die Offenbarung eines Genies zu packen. In herrlicher Landschaft voll wilder und lieblicher Pracht zeigt sich ein seltsames Paar. Die Titanengestalt eines Jüuglins von überirdischer Kraft und Schönheit schreitet vorüber, ein Panzer umfängt die Brust, die Rechte ist in die Hüfte gestemmt, die Linke faßt einen gewaltigen, geschulterten Hammer. Blick und Schritt sind starr gradaus gerichtet. Kein Stürmen und Eilen, sondern ein völlig ruhiges Vorwärtsdringen. Aber es liegt in dieser scheinbaren Ruhe eine Bewegung von furchtbarer Kraft, unaufhaltsam, unentrinnbar. Klinger ist in der Wieder­gabe einer solchen ruhigen Bewegung, die zu den schwersten Aufgaben der Kunst zählt, ein unübertroffener Meister. Er hat im CyklusEin Leben" das langsame Hinabgleiten ins Meer der Sinnlichkeit und ins bodenlose Nichts mit grauenvoller Wahrheit geschildert; das zu neuen trügerischen Freuden im Flug durch das All schwebende Paar inEine Liebe" dringt von geheimnisvoller Macht gezogen sicher empor: gleich ge­waltig aber, wie auf diesem Bilde, hat er diese seltene Seite seiner Kunst nie offenbart. Stellt mau im Geist diese Jüng- liugsgestalt den genialsten Verkörperungen gegenüber, die Men­schengeschick und Tod in der bildenden Kunst gewonnen haben: an sinnberückender Macht wird sie selten erreicht. Der Boden scheint unter ihrem langsamen Schritt zu dröhnen. Gegen diesen Tritt giebt es keinen Widerstand. Die herrliche, geflügelte Frauengestalt am Boden krümmt sich vor ihm, in hilfloser Ohnmacht der Gewalt des Nahenden preisgegeben, dessen leicht erhobener Fuß, von ihren Händen in wirkungsloser Abwehr umfaßt, bereits ihren Leib zermalmend berührt.Zeit und Ruhm" hat der Künstler das Blatt genannt. Es bedarf dieser Unterschrift nicht, denn dieses Sinnbild kann durch er­klärende Worte nichts gewinnen.

Wie der tiefernste, unheimliche Grundton in der ersten Folge, so sollen auch diese neuen Todesphantasieen in einen harmonisch-versöhnenden Wohllaut ausklingeu, nur erschallt derselbe hier noch weihevoller, noch unmittelbarer aus den Tiefen der Meuschenbrust. Das letzte Blatt zeigt zunächst nur ein landschaftliches Stimmungsbild von hoher Schönheit. Links eine prächtige Gruppe von jungen und uralten, umrankteu Bäumen über duftigem Gebüsch, rechts ein einzelner Stamm. Dazwischen freier Ausblick auf die in heitrem Sonneuglauz ruhende Meeressläche. Auf der Uferwiese aber kniet eine Ge­stalt, im Rücken sichtbar; Gewand und Schuhe hat sie ab­geworfen und birgt das Antlitz in beiden Händen. Ein er­greifendes Gebet an die Schönheit der Natur, welches am Ende dieses Cyklus, als Glaubensbekenntnis eines Klinger, uns mit doppelter Macht bewegt: jener stammelnden Anrufung der antiken Göttin ist hier eine herrliche Offenbarung gefolgt. Lwllte dieselbe auch für den Künstler selbst eine solche Bedeutung haben? Wendet sich seine Phantasie von jenen un­heimlichen Schreckgebilden wieder von neuem geläutert dem Hohen und Schönen zu? Diese Entwickelung wäre nicht wundersam, und sie wiirde weiteres Zeugnis für den inneren Zusammenhang bilden, in welchem diese eigenartige Künstler­persönlichkeit mit dem Zeitgeist steht. Denn daß Klinger den großen Führern der neuen Ära auf litterarischem Gebiet stamm­verwandt ist, dafür bedarf es nach der Schilderung dieser Todesphantasieen kaum erst des Beweises. Erschien er zuvor bisweilen als der berufenste Illustrator eines Zola, so tritt hier diejenige Eigenart, die ihn einem Ibsen nähert, mit ge­nialer Kraft in den Vordergrund. Man kann KlingersOevre," und besonders diesen letzten Cyklus, nicht durchblütteru, ohne

an den Meister derwilden Unheimlichkeit," an den Dichter desPeer Gynt" und desBrand" zu denken. Mit gleicher Kraft wie Ibsen steht Klinger auf dem Boden der Wirklichkeit, mit gleicher Kraft erhebt er sich vom Erdenstaub in das Reich der Phantastik. Auf einem Gebiet aber ist Klinger seinem nordischen Zeitgenossen überlegen. Gerade seine frühesten Ra­dierungen und jene letzte lassen es klar erkennen. Es ist ein Gebiet, welches gerade unsere deutsche nationale Kunst von Anbeginn zu ihrem hehrsten Schauplatz erkoren hat: es ist das urdeutsche Gefühl für die Natur, dies innige Lauschen auf die stumme Sprache der Landschaft, die zum Echo des eigenen Empfindens wird; die gleiche Saite der deutschen Volksseele, deren höchste Schwingungen sowohl in mystischer Phantastik wie in den reinsten Hymnen der deutschen Musik erklingen. Leis' hallt diese Saite in allen Schöpfungen Klingers nach, wo sie aber den Sieg über die Widersprüche und Launen seiner Phantasie gewinnt, da verleiht sie seinen Werken unver­gängliche Schönheit. In diesem Sinne bezeichnen die beiden letzten Blätter des neuen Cyklus einen gewaltigen Fortschritt über alle früheren Arbeiten, der hoffentlich auch die geschwore­nen Krittler und Gegner der Klingerschen Muse zum Schweigen bringen wird. Möge diesGebet an die Schönheit" sich

herrlich erfüllen. Es hat die wirksamste Gottheit zum Bei­stand, denn es bezeugt, daß Klinger seinem Wahlspruch un­entwegt folgt:Denn uns ist gegeben, an keiner Stätte zu rasten."

AffhoNSMtt.

wenn alle Menschen in den Simmel kämen, gäbe es keine

Seligkeit. ^

-i-

Line Ballgesellschaft gleicht meist einer Bibliothek, die nicht von einem Gelehrten, sondern von einem Buchbinder zusammengestellt worden ist. ^ ^

Die Lüge ist eine derjenigen Krankheiten, die desto leichter ent­

stehen, je dichter die Menschen beisammen wohnen.

Srüher lief man bei Erdbeben in die Mrche, jetzt flüchtet man sich in die freie Natur.

Leute, die sich in verschiedenen Stockwerken befinden, können nicht zusammen tanzen. k. 0.

Ein romantischer Uonmn.

Von

A M.

den ersten großen Roman von Adolf Wilbra iidl* ist es bezeichnend, wie für die ganze verfließende Epoche, welcher dieses Buch noch angehört, daß der Dichter die Ferne durch Realismus näher bringen und die Nähe durch Idealismus uns entrücken will. Dies gilt für die geistige Nähe und Ferne ebenso gut wie für die körperliche; für die geographische ebenso gut wie für die seelische. Ein Nebenumstand giebt das beste Beispiel für das, was ich meine. Die Handlung des Romans hat zwei getrennte Schauplätze; das erste Buch und der größte Teil des dritten spielen in der Umgebung von Salzburg, das zweite Buch zwischen Rostock und Heiligendamm, in des Dichters eigener Heimat. Nun ist es ganz ergötzlich und für den litterarischen Leser überaus lehr­reich, wie Wilbrandt die romantische Alpengegend bis auf jedes

* Adams Söhne. Roman von Adolf Wilbrandt. (Berlin, Verlag von Wilhelm Hertz, Bessersche Buchhandlung 1860.)