Heft 
(1889) 42
Seite
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Deutschland.

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winzige Ding ist solch lebensgefährlichen Wagnisses Wohl wert, denn für diesenPhilosophen" entscheidet es über das «Koiorm» nnd «^i68oi6Q8», das ihm aus der Tiefe entgegenlacht. Die geistvolle Ironie dieser Darstellung bedarf nicht erst näherer Erläuterung; doch dünkt uns diese Gattung von Bildern für den vorliegenden Cyklus wenig geeignet.

Unterbrechen wir hier zunächst einmal die beschreibende Charakteristik der einzelnen Blätter zu Gunsten einer knappen kritischen Rückschau. Wem von Klinger nichts anderes be­kannt wäre, würde lediglich aus diesen vierzehn Radierungen das Bild einer bedeutenden, gänzlich selbständigen Künstlerper­sönlichkeit empfangen. Dieselbe wandelt abseits vom breiten Pfad der Tradition, auf seltsamen Bahnen, wie sie selbst unter den Meistern der Vergangenheit nur wenige etwa em Goya, ein Wiertz einschlugen, aber sie bannt uns mit ge­nialer Macht in ihren Kreis. Sie folgt lediglich ihrem mo­mentanen Empfinden, rückhaltlos, um fremdes Verständnis sichtlich unbekümmert, aber sie verleiht ihren Schöpfungen hier­durch stets jenen unbeschreiblichen Reiz, den ein Streifblick in die geheimste Werkstatt künstlerischen Schaffens, in das Ringen des Bildners mit feiner Phantasie, dem fremden Auge gewährt. Dies läßt selbst eine Unvollkommenheit der Ausdrncksmittel zeitweilig übersehen. Eine unwiderstehliche Macht scheint des Künstlers Hand zu leiten, das Gebot einer inneren Stimme alle Einsprüche im Namen des Schönheitssinnes, ja selbst der Naturwahrheit, gelegentlich zu übertönen. Doch auch wir ver­nehmen diese Dissonanzen nicht lange, denn sie verhallen in dem Eindruck individueller Kraft, der sie zu einem im höheren Sinn harmonischen Ganzen eint. Wer diese Bilder ohne son­derliche Liebe, ja selbst wer sie mit geheimem Widerstreben an sich vorüberziehen ließ, wird ob der großen Macht erstaunen, mit welcher sie sich der eigenen. Phantasie einprügen und später, ungerufen, plötzlich, wieder vor ihr auftauchen. Sie haben etwas Unheimliches, Gespensterhaftes, dessen Einwirkung sich niemand zu entziehen vermag. Wessen Anschauungsweise oder Stimmung vollends für den Ideen- und Empfindungsgehalt dieser Darstellungen besonders empfänglich ist, dem werden sie zu bösen Traum gestalten der eigenen Seele.

Aber diese vollgültige Anerkennung der individuellen Größe, die aus jedem dieser Blätter spricht, und über den Gesamt- eindrnck entscheidet, vermag die vergleichende nnd abwägende Kritik der künstlerischen Durchführung an sich nicht zu ent­kräften, und von diesem Standpunkt aus bleiben die Einwürfe, welche die Klingerfeinde zu wiederholen nicht ermüden, auch von diesen neuen Arbeiten häufig berechtigt. Einen äußeren Man­gel glaubte dort selbst Brandes nicht verschweigen zu dürfen: Klinger ist «noch» kein Meister in der eigentlichen Zeichnung." Das gilt auch «noch» von einzelnen unter diesen Blättern. Freilich: .Klinger selbst hat nach dem Ruhm eines korrekten Zeichners kaum je selbst gestrebt. Er ist ein Malerradierer. Nicht der klar nnd knapp gezeichnete Umriß, sondern der Ton ist sein Ausdrncksmittel. In diesem Sinne verwertet er alle technischen Hilfsquellen seiner Kunst nebeneinander. Er redet die Sprache Rembrandts. Aber leider nur selten mit ganzer Kraft! öleben Vollendetem stehen unbegreifliche Mängel; um so unverzeihlicher, als Klinger selbst zu ihrer Verurteilung den Maßstab bietet. Der Meister des Boecklin gewidmeten Titel­blattes zuEine Liebe" sollte nicht Meereswellen darstellen, welche vom Wüstensand kaum zu unterscheiden sind; der Ra­dierer desSommermittag" nnd derMondnacht" dürfte ein Blatt wieDas Kind" mit solcher Wiedergabe des Strauch­werks nicht als vollendet bezeichnen. Überhaupt gilt gerade von dieser neuen Serie, was ein scharfer Kritiker unseres mo­dernen Kupferstichs trotz aller Anerkennung an den Klin- gerschen Radierungen rügt: sie gleichen häufig nurSkizzen," lassen die liebevolle Durchführung zu voller Reife vermissen. Die Freude an der Erscheinung als solcher, die, ohne viel nach der geistigen Bedeutung zu fragen, an der Nachbildung des Erschauten selbst Genüge findet und nach dem klassischen Muster der Niederländer hierbei selbst im kleinen Großes wirkt, ist

Klinger von jeher fremd gewesen. Das mit miniaturartiger Feinheit durchgebildete Hüudcheu «Pjou-Pjou,» schon technisch ein leider wenig bekanntes Meisterwerk, ist unter seinen Ra­dierungen in diesem Sinn eben ein Ünikum.Naturdarstellung ohne Idee," das Motto der jüngsten Malerschule, erschiene ihm kaum als eine würdige Aufgabe der Kunst. Dieser Stand­punkt an sich ist sicherlich vollauf berechtigt, aber die wahrhaft Großen, die von ihm ausgingen, waren auch in derNatur- darstellung" selbst Meister; diese wurde ihnen freilich nur Mittel zum Zweck, aber eben als solches stets unentbehrlich. Klinger nähert sich ihnen an Fähigkeit mehr und mehr. Schrittweis läßt sich dies an seinen Werken verfolgen. Man vergleiche beispielsweise nur die Prächtige Durchbildung des Nackten auf dem BlatteUnd doch!" mit früheren, äußerlich verwandten Darstellungen. Aber Klinger scheint die Be- thütigung dieser Fähigkeit bisweilen für entbehrlich zu erachten, und hier leitet ihn die impetnose Gewalt, die seine Hand be­seelt, zweifellos aus Irrwege. Wie hoch auch immer der Reiz unmittelbar vom Moment geborener Schöpfungen der Künstler­phantasie geschützt werden möge: als Bild vor Augen gestellt, bildlich verkörpert, müssen sie allseitig klar erscheinen. Das ist ein ästhetisch wie kunsthistorisch unanfechtbarer Grundsatz, und ein solches Wirrsal von Strichen und Gebilden, wie bei­spielsweise das BlattDer Landmann" in der Figur des ge­stürzten Pflugführers zeigt, bleibt ein unentschuldbarer Mangel. Ünd noch in anderer Weise äußert sich diese Verachtung pla­stischer Klarheit und prüciser bildlicher Sprache. Bei einzelnen Darstellungen ist oben unumwunden eingestanden worden, daß wir sie nicht völlig sicher zu deuten vermögen. Wir brauchen dies Geständnis nicht zu scheuen, denn der Künstler selbst scheint es herauszufordern. Auf so unklare Fragen, wie er sie bisweilen zu stellen liebt, darf auch die Antwort fragwürdig bleiben. Über die Allegorie ist seit Winkelmanns Apotheose schon viel Nützliches und Unnützes geschrieben worden, daß man eine theoretische Erörterung dieses Themas thunlichst ver­meidet. Klinger gehört zu den Wenigen, die von neuem zu seiner Behandlung verlocken könnten; denn er hat es von Anbeginn künstlerisch selbständig beleuchtet. Seine größten Schöpfungen gehören im Grunde dieser Kunstgattung an, aber sie sind eben deswegen groß, weil sie über den traditionellen Begriff dieser Gattung hinausgehen, weil sie nicht lediglich Ideen verkörpern, sondern zugleich Traumbilder, in denen Form und Inhalt unzertrennlich verbunden sind. Das, was letzthin über den künstlerischen Wert der Allegorie entscheidet, ist ihre Psychologische Wirkung im Sinne eines Stimmungsbildes. Wer sich derselben nicht hingeben, werden Traum nicht mit- träumen" will, wird solche Werke stets verurteilen. Aber die Anregung wenigstens muß von den Werken selbst ausgehen, und sie muß sich so klar und machtvoll äußern, daß der Sinn des Beschauers ihr als einer sicheren Geleiterin zu ihrer eige­nen Quelle in der Phantasie des Künstlers zu folgen vermag. Klingers Hauptschöpfungen selbst bieten hierfür herrliche Bei­spiele, man denke nur an jene gewaltigenIntermezzos," welche im CyklusEine Liebe" den Gang der Handlung unterbrechen, oder an den furchtbaren Schlnßaccord, mit demEin Leben" ausklingt. Da spricht ein echter Dichter eine allgewaltige Sprache, die freilich gänzlich ungewöhnlich ist, aber gleichwohl völlig verständlich. In diesem CyklusVom Tode" jedoch fehlt schon die äußere Verbindung der einzelnen Scenen, welche die übrigen Cyklen aufweisen; es fehlt selbst ein geistiger Mittel­punkt, wie ihn diePhantasieen" über den Handschuh besitzen. Üm so stärker mußte hier demgemäß das psychologische Ele­ment hervortreten, um so mehr wird es innerhalb dieses Cyklus in einzelnen Blättern, wie beispielsweise in jenem «Integer vitae,» vermißt. Daß der Künstler in den Umrahmungen der Bilder seiner Phantasie völlig die Zügel schießen ließ, Spuk­gebilde mit landschaftlichen Motiven nnd ornamentalen Spie­lereien wechseln läßt, soll in diesem Sinne nicht beanstandet werden.

Doch wir haben die Betrachtung der Radierungen selbst