Heft 
(1889) 42
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Deutschland.

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auf dem Wall unmöglich wird und nach spätestens viernndzwanzig bis sechsunddreißig Stunden zum Sturm übergegangen werden kann, wobei vermutlich den mit der neuen Sprengfüllung versehenen Geschossen eine große Wirkung zufallen wird. Die Vorbereitungen für den Sturm müssen derartig eingehend und umfangreich getroffen werden, und es muß eventuell ein so großer Einsatz an Material und Personal stattfinden, daß ein Mißlingen dieses Angriffs ausgeschlossen ist.

Ein zukünftiger Krieg wird noch in viel höherem Maße, als es die letzten Kriege waren, Festungskrieg sein, denn es läßt sich wohl annehmen, daß der Ingenieur wie der Artillerist weiterhin alles thun werden, um deu Einfluß ihrer Festungen und Geschütze zu verstärken. Haben wir Deutschen den Fran­zosen auch glücklicherweise den Bau der Sperrforts nicht nach­gemacht, so haben doch auch wir eine Anzahl großer Festungen. So lange diese vorhanden sind, wird mit ihnen zu rechnen sein. Den bekannten General Brialmont veranlaßt die Ver­besserung der Artillerie durch Einführung des raucharmen Pul­vers und der neuen Geschosse mit ihrer, durch ihre Füllung von Melinit, Ekrasik, Roborit oder Schießwolle geradezu furcht­baren Wirkung zu dem Vorschlag, die Geschütze der Verteidi­gung in schweren eisernen Kuppeln nnterzubringen und durch sie Geschütz und Mannschaft vor dem feindlichen Artilleriefeuer zu schützen. Dieselben sollen so eingerichtet sein, daß sie nach dem Schüsse verschwinden und vor demselben wieder auftauchen können. Bei uns in Deutschland ist dagegen eine andere An­sicht mehr verbreitet und findet in den Erzeugnissen der neue­sten Militürlitteratur hervorragende Vertreter. Dieselbe geht dahin, daß die größeren Festungen durch Ausbau so gut wie möglich gesichert werden, die weniger brauchbaren eingehen und man keine neuen erbaut, sondern daß man dafür lieber Vor­räte an Material und Geschützen in Centralstationen hält, um sie von hieraus au die Orte zu verschicken, wo man im Ver­laufe der kriegerischen Ereignisse sogenannteprovisorische Stel­lungen," wie Brückenköpfe, Etappen, große Lager (Plenum ist ein Beispiel dafür) anlegen will.

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Bon

Alfred Gotthold Meyer. (Schluß.)

/^^ur noch zweimal wird in ihnen überhaupt ein Tod geschildert: auf dem unbedeutendsten Bild der ganzen Folge, welches den entseelten Herodes an den Stufen seines Thrones zeigt, und in derChaussee." Dies Blatt ist nur eine verkleinerte Kopie der unter dem Namen Das Gewitter" bekannten Radierung, mit einer Abänderung, welche ihren ursprünglichen Charakter nur siunfüllig kon­zentriert. Die gleiche Landstraße unter Gewitterhimmel und Gelvitterlicht mit ihren Baumreihen, deren Blätter in fahlem Scheine zittern; aber nicht mehr in einsamer Ruhe zwischen Blitz und Blitz, sondern nach dem verheerenden Strahl. Der eine der Stämme ist von seinem Pflock losgerissen und neben ihm liegt quer über den Pfad eine vornüber gestürzte Gestalt: das Landschaftsbild mit Todesstimmung ist zum Schau­platz des Todes selbst geworden. In ähnlichem Sinn sind zwei Seestücke der Folge einverleibt. Das eine zeigt ein sinken­des Schiff im letzten Kampf mit den Wellen. Das zweite nennt KlingerSeeleute." Vor uus liegt der Meeresspiegel; aus dem Wasser ragen vorn große Steine auf, auf denen drei Schiffbrüchige (?) fußen. Der eine scheint dem Genossen bei einem Sprung von einem Stein zum andern behilflich zu seiu; der dritte, welcher auf diese Gruppe zueilt, ist nur im Rücken sichtbar. Zur Linken vorn kriecht eine Riesenschildkröte ans dem Wasser. Der Vorgang selbst ist hier nicht völlig klar, wohl aber die Stimmung, die Vereinsamung und Ohnmacht

dieser drei Männer angesichts der öden Meeresflüche. Mit dem letzten hier noch zu erwähnenden Bild that der Künstler einen genialen Griff in die nenerstaudene Welt unserer Tage. Auf dem Schienenweg, der durch wild zerklüftetes Felsengebirge führt, ruht ein Gerippe mit gekreuzten Beinen, als halte es hier in der Mittagshitze behagliche, dem kommenden Zug ver­derbliche Siesta. Hier allein klingt leise eine der grausen Ironie und dem Teufelshumor des Holbeinschen Totentanzes ver­wandte Auffassungsweise an, freilich deren moralischer Größe gänzlich bar.

Soweit der erste, im vorigen Jahre abgeschlossene Cyklus. Seither sind weitere sechs Radierungen erschienen, welche laut der eigenhändigen Unterschrift des Künstlers einerzweiten Folge":Vom Tode" angehörcn. Ohne diese Signatur würde man auf solchen Zusammenhang kaum schließen, und selbst mit diesem Hinweis scheint es uns nicht möglich, eine unmittelbare Beziehung aller einzelnen Darstellungen zum Hauptthema zu finden. Dieselben bestehen bislang in vier Allegorieen, einer historisch-allegorischen Scene und einem landschaftlichen Stim­mungsbild. Von den Allegorieen trägt die eine bereits die Jahreszahl 1885. Der Vordergrund zeigt lediglich eine nackte Jünglingsgestalt, die mit ausgestreckten Armen nach rechts hin schreitet. Dort fällt das mit Trümmern antiker Bauten be­deckte Hochplateau, welches sich hiuter, oder besser über dem Jüngling ausdehnt, in schroffer Felswand ab, an der wilde Gestalten schreiend und stürzend in rasender Eile zur Tiefe hinabzugleiten scheinen. Über dem Plateau hockt eine Riesen­gestalt in voller Vorderansicht, das Haupt haar- und bartlos, mit angezogenen Beinen, sodaß die Füße hart über der Land­schaft schweben; die Arme völlig wagrecht, weit ausgebreitet, die Rechte einen Bergkegel umkrallend, die Linke über jenem Felsenabhang, auf einer Sanduhr. Die Unterschrift des ganzen lautet: «luto^er vitae ^oolarwgue ^urn.U» - Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein malerisch gefaßtes Rätsel. Ist jener Riese droben durch seine Stellung und durch die Be­wegung seiner Hände im Herabgleiten aufgehalten, nun gleich einer hängenden Lawine über der Landschaft drohend, oder sinkt er in langsam-wuchtigem Fall auf sie hernieder? Sind jene stürzenden Gestalten am Abhang seine Vorboten, dem Geröll vergleichbar, das in wilden Sätzen der Schneemasse voraus von Fels zu Fels springt? Ist der Jüngling vorn nur eine gut gezeichnete Aktfigur, zu Nutz und Frommen seines Schöpfers auf die ursprünglich für ganz andere Gestalten frei geblie­bene Flüche gesetzt, oder ist er ein Geistesverwandter jenes unschuldigen Schwärmers, zu welchem Hornz sein eigenes Ich schelmisch erhebt, oder gar jenes Dürerschen Rittersmannes, der unbeirrt durch Tod und Teufel seiue Straße zieht, und darf man die Horazische Unterschrift durch das

«81 ÜÄOtus INubMui- orbi»,

Iiu^iLviwiin wrleiit ruiime»

erläutern?

Mit größerer Sicherheit könnte man die Deutung versuchen, wäre die Zusammengehörigkeit dieses Blattes mit dem zweiten Und doch!" bezeichneten zweifellos. Vor einer bestimmten Meinungsäußerung des Künstlers nach Abschluß der ganzen Folge aber wird man auch an dieser mit erhobenen Armen, fliegenden Haaren und flammendem Blick vor einer Hügelland­schaft vorwürtsschreitenden Jünglingsgestalt, deren nackter Kör­per sich leuchtend vom dunklen Grunde abhebt, vorerst nur die meisterhafte künstlerische Durchbildung rühmen dürfen. Und ähnlich verhält es sich mit der eigenartigen, halb historisch, halb allegorisch aufgefaßtenDarstellung des Herrschers," dem der Tod in des Kanzlers Tracht zu huldigen scheint. Nur zwei unter deu neuen Bildern dieser Gattung sind völlig klar verständlich. Das eine spricht weit mehr zum Verstand, als zum Auge. Knapp unterhalb der schmalen Kuppe eines Schneeberges hängt ein Wandrer mittelst einer Schlinge an seinem in den Schnee gestoßenen Bergstock, mit ausgestrecktem Arm nach der Stelle herabspähend, wo nicht weit von ihm, aber dennoch unerreichbar, seine Brille liegt. Dies