Heft 
(1889) 42
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Belagerungscorps mit Rücksicht auf die Specialentwürfe des Kommandeurs der Belagerungsartillerie und der Ingenieure der Angriffsplan ausgestellt, welcher specielle Erwägungen über die Angriffsfrvnt, die Zahl der auzugreifenden Forts, die Lage der Parks, Berechnungen von Personal, Material u. s. w. ent­hält. Die Parks liegen am besten in der Nähe guter, in das Angriffsseld führender Straßen, etwa 10000 Meter von den feindlichen Forts entfernt. Sind dieselben, wozu meist Wochen gehören, mit dem ans der Heimat bezogenen Material einge­richtet und ist in dieser Zeit gleichfalls der Verteidiger aus seinen vor die Fortlinie vorgeschobenen Positionen verdrängt, so wird der Angreifer zum Ban seiner ersten Artillerieauf- stellnng schreiten. Diese wird wesentlich der Angriffs front auf etwa 2000 bis 3000 Meter, jene überflügelnd, frontal gegenüber liegen. Die einzelnen Batterieen, deren Zahl von der Stärke und Thütigkeit des Verteidigers abhängig ist, dem­selben jedoch überlegen sein muß, liegen ihren Zielen möglichst in verdeckter resp. maskierter Lage gegenüber. Da in dieser Periode besonders das feindliche Personal zu beschießen ist und auch die sonstigen Ziele meist gedeckt sind, so kommen hier die mit ausgiebigem Shrapnelschuß und Vertikalfeucr versehenen Geschütze zur Anwendung: die vorher erwähnten 21 Centimeter- Ringkanone und 21 Centimeter-Mörser, die schwere 12 Centi- meter-Kanone, die Granaten bis zu 7400, Shrapnels bis zu 4400 Metern schießt, und eventuell die kurze 15 Centimeter- Kanoue, welche Granaten bis zu 4400 und Shrapnels bis zu 2200 Metern schießt, und der 15 Centimeter-Mörser, welcher Granaten und Shrapnels bis zu 2750 resp. 2500 Metern wirft. Die Wahl derselben wird durch die Art der Ziele und den Zweck des Kampfes bestimmt.

Der besseren Feuerleitung wegen und um die Wirkung möglichst zu vergrößern, werden Gruppen von zwei bis vier Batterieen angelegt, unter sich und mit den höheren Befehls­stellen durch optische und elektrische Telegraphen verbunden, mit ökonomischen Einrichtungen, wie provisorischen Kochgelegen­heiten, Lazaretten, Unterkunftsräumen für die gesamte Bedie­nung u. s. w. versehen, zur Sicherung des Munitionsersatzes möglichst gedeckt und durch Förderbahnen mit dem Munitions- Park verbunden. Die Batterieen werden mit je sechs Geschützen armiert und mit einer Munitionstagesrate von rund 60 Schuß pro 15 Eeutimeter-, 80 pro 12 Centimeter-, 50 pro 21 Centi- meter-Kaliber, ohne die Reserve, ausgerüstet. Bevor der An­greifer sein Feuer gleichzeitig aus allen Batterieen eröffnet, muß er einerseits sicher sein, daß er sich in numerischer Überlegenheit der Festung gegenüber befindet und andererseits das Feuer seiner Batterieen so verteilt haben, daß jedes Ziel Massenfeuer jeglicher Art, d. h. frontales und seitliches, rasantes, vertikales und Shrapuelfeuer erhält. Diese Artillerieanlage wird durch vorher vom Ingenieur gebaute und von Infanterie besetzte Laufgräben gesichert. Mit Hilfe der Wirkung dieser Geschütz- Position werden die Vorposten immer mehr gegen die Fortlinie vorgeschoben, wobei die Infanterie sprungweise Vorgehen und sich sofort im Terrain einbauen muß. Jetzt werden gegen die nunmehr intensiv werdende Feuerwirkung des Verteidigers ge­deckte Annäherungswege an die feindlichen Werke notwendig; die erste Jnfanteriestellung oder Parallele wird gebaut in einer Ausdehnung, daß sie die Angriffsobjekte umfaßt und die zweite Artilleriestellung schützt. Dem Vorgehen der Infanterie folgt nämlich die Artillerie mit ihren Batterieen zur Herstellung der Hauptartilleriestellung. Der Zweck derselben besteht darin: die Verteidigungsartillerie, die ihre Aufstellung nicht nur in den Werken, sondern auch in Batterieen, die dazwischen liegen, gefunden hat, niederzukümpfen, Deckungen zu zerstören, Breschen zu erzeugen und die Flankierungsanlngen unbrauchbar zu machen. Die direkter: Batterieen dieser Artilleriestellung werden etwa 1000 Meter, die indirekten etwa 2000 Meter von ihren Zielen entfernt liegen und die Zahl derselben der Kraft­entwickelung des Verteidigers entsprechen, während sie mit den Geschützen der ersten Artillerieausstellung und den aus dem Park weiterhin herangezogenen schweren l2 Centimeter- und

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15 Ceutimeter-Mörsern armiert werden. Diese Periode bringt den unmittelbaren direkten Kampf von Geschütz gegen Geschütz; ferner wird jetzt Bresche gelegt, was bei den heutigen Festungen allgemein durch den indirekten Schuß zu geschehen hat. Sind diese Aufgaben erfüllt und die feindliche Artillerie niederge­kämpft, so findet das methodische Überschreiten des Angrif'fs- feldes bis zum Glacis durch Anlage der zweiten respektive letzten Jnfanteriestellung mit Annüherungswegen bis an die zu neh­menden Werke statt. Der Angreifer muß jetzt, ist die Festung mit einein gut angelegten permanenten Contremineusystem ver­sehen, zum Minenangriff übergehen, um das Glacis in Besitz zu nehmen oder aber über dasselbe sofort zum Sturm vorzu­gehen. Bei demselben darf die Artillerie ihr Feuer nicht unter­brechen, nachdem sie ihn durch möglichst starke Erhöhung des­selben vorbereitet hat. Dasselbe thnt die Infanterie durch recht zahlreiche Demonstrationen, um falschen Alarm zu bewirken, den Verteidiger herausznlocken und dann heftig zu beschießen. Die Russen wurden vor Sebastopol durch dieses Mittel so ab­gestumpft, daß sie beim wirklich erfolgenden Sturme nicht recht­zeitig herausknmen. Je nach der Gangbarkeit und Beschaffen­heit der Bresche werden die Sturmkolonnen mit Leitern, mit Säcken, die leichtes Material zum Ausfällen des Grabens und eventueller Wolfsgruben enthalten, Beilen zum Zerstören von Drahthindernissen und Verhauen, Dhnamitpatronen zum Hin­einwerfen in Scharten u. s. w. versehen. Für jedes Werk und jede Zwischenbatterie werden mehrere bestimmt organisierte Sturm­kolonnen gleichzeitig in Bewegung gesetzt. Nach geglücktem Sturme sind die eroberten Werke zu untersuchen, um Verrüte- reien, wie sie die Franzosen bei Laon in Anwendung brachten (sie sprengten die Veste in die Luft, nachdem die Preußen sie besetzt hatten), vorzubeugen. Dann richtet der Angreifer die eroberten Stellungen zur Verteidigung gegen Vorstöße des zurückgehendeu Verteidigers ein. Sobald der Verteidiger er­kannt hat, daß er die Fortlinie zu halten nicht mehr im stände sein wird, wird er zwischen dieser und der Stadtenceinte eine weitere Position, ähnlich der des bisherigen Kampffeldes und mit ihren Flügeln sich an nichteroberte Forts anlehnend, ein­richten. Gegen dieselbe muß seitens des Angreifers in ähn­licher Weise wie bei der Eroberung der Forts vorgegangen werden. Ist diese Zwischenstellung genommen, so bleibt dem Angreifer noch als letzte Aufgabe die Eroberuug der Stadt­befestigungen übrig. Die Einnahme derselben wird wesentlich dadurch erleichtert, daß die Streitkrüfte und Kampfmittel des Verteidigers jetzt stark eiugeschmolzen und seine physische und moralische Spannkraft dem Zusammenbrechen nahe ist. Die Durchführung des Kampfes bis zur Einnahme der Stadt selbst wird in: Sinne eines erneuten förmlichen Angriffs stattfinden, wenn das Bombardement aus der: für dasselbe, jetzt äußerst günstigen Artilleriestellungen, ohne Erfolg war. Bein: Sturm ist jetzt noch besonders Vorsorge gegen ein Durchschlagen der Besatzung zu treffen.

Der Hauptzweck der Sperrforts, Zeitgewinn für Kon­zentrierung und Erlangung der Operationsfähigkeit der Armee, kann nur vereitelt werden, wenn man sie schneller nimmt, als sie jenen Zweck erreichen konnte::. Überfall und gewaltsamer Angriff versprechen jedoch bei der Lage und Konstruktion der heutigen, speciell der französischen Sperrforts, keinen Erfolg. Ein solcher ist, nach der Ansicht von Fachleuten, nur durch ein schnell und intensiv durchgeführtes Bombardement oder den abgekürzten förmlichen Angriff möglich. Bei diesen ist die Schnelligkeit wesentlich bedingt durch die eingehendste Vor­bereitung im Frieden; das Vorbereitungsstadinm vor dem Sperr­fort darf nur äußerst kurz sein. Deshalb muß der Angreifer- kampfbereit vor den: Fort erscheinen und sein Feuer bald und energisch eröffnen können. Gleich nach seinen: Eintreffen Vör­den: Sperrfort wird er mit dem Bau der anzulegenden Bat- terieen, welche dasselbe ganz umfassen und besonders mit Ver- tikalfeuer überschütten sollen, beginnen und sie schleunigst armie­ren. Nunmehr muß das Fort mit einen: so überwältigenden Feuer überschüttet werden, daß der Aufenthalt des Verteidigers

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