Heft 
(1889) 42
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des Verteidigers herbeiführen lassen. Die modernen größeren Festungen sind sämtlich mit einer vorgeschobenen Kette von detachierten Forts versehen, deren Hauptzweck eben der ist, die befestigte Stadt vor einem Bombardement zu bewahren, wes­halb der Fortgürtel auch durchschnittlich 7000 bis 9000 Meter von der Festung entfernt liegt, so daß, liegen die Bombarde- mentsbatterieen etwa 3000 Meter von diesem entfernt, die Stadt selbst gegen sie geschützt ist und das Bombardement jetzt ebenso wenig wie bei weiter vorgeschrittenem Angriff Aussicht ans Erfolg hat. Für die Durchführung desselben muß der Angreifer besonders Batterieen, die mit großen Kalibern armiert sind, in Thütigkeit bringen und für reichen Munitionsersatz ge­sorgt haben. Die ganze Stadt muß unter Feuer gehalten werden und wenn möglich müssen mit Shrapnels alle verkehr­reichen Punkte fortgesetzt beunruhigt werden können. Die hier zur Verwendung kommenden Kaliber sind hauptsächlich die 15 Centi- meter-Ringkanone und der 21 Centimeter-Mörser. Erstere feuert 27 Kilo schwere Granaten und 39 Kilo schwere Shrapnels bis 85-00 resp. 4500 Meter, letzterer 79 Kilo schwere Granaten mit 3,5 Kilo Ladung auf 4000 Meter und die für ihn neu eingeführte Schießbaumwollgranate. Eine andere Angriffsart, wie sie in den ersten Stadien des Angriffs auf Paris 1870 zur Anwendung kam, ist die Einschließung. Dieselbe be­gnügt sich damit, die feindliche Festung überraschend von allen Seiten einzuschließen, um die Zufuhr in die Festung und das Ausstößen hinderlicher Elemente aus derselben unmöglich zu machen und abzuwarten, bis beim Gegner die naturgemäße Krastabnahme eintritt und der Hunger die Übergabe erzwingt. Diese Angriffsart wird meist gegen solche Festungen in An­wendung kommen, die ans einem Nebenkriegsschauplatz liegen, deren Besitz zunächst also nicht besonders wichtig erscheint, oder die ein derartig großes Material zum Beginn und zur Durch­führung des förmlichen Angriffs erfordern, daß bis zur völligen Heranschafsung desselben, wie bei der Belagerung von Paris, längere Zeit vergehen würde.

Hat der Angreifer sich überzeugt, daß keine der bisher erwähnten Angriffsarten ihn seinen Zweck erreichen läßt, so wird er zur letzten Methode, die den Erfolg bei genügender Zeit auf ihrer Seite haben muß, zu dem förmlichen Angriff schreiten. Dieser wurde vor nun 200 Jahren von dem franzö­sischen Ingenieur Bauban zuerst in Anwendung gebracht, also zu einer Zeit, in der es, der damaligen Waffen wegen, unmög­lich war, einen Platz zu erobern, bevor seine Sturmfreiheit, die sehr hohe Mauern und breite, gut flankierte Grüben sicherten, beseitigt war. Dies konnte nur durch eine Bresche geschehen, die vom Glaciskamme aus gelegt werden mußte. Vorher also mußten die Festungsgeschütze kampfunfähig sein. Hierzu mußte ihnen auf sehr nahe Entfernungen gegenüber getreten werden können, weshalb die ganze Annäherung mittels gedeckter Ver­bindungswege, Parallelen und Approchen, geschehen mußte. Von diesem Angriffsverfahren ist die Grundbedingung, die Ver­teidigungsgeschütze eines sturmfreien Werkes niederzukümpfen, bevor man an die Wegnahme des letzteren denkt, auch heute noch gültig; dagegen ließ man die andere Forderung fallen, daß es zu dieser Bekämpfung der Besetzung des Glaciskammes oder der Annäherung bis auf Kartütschschußweite bedürfe. Das heutige Wurffeuer vermag nämlich jede Artilleriestellung, falls sie nicht durch Panzerungen gedeckt ist, aus einer Entfernung von etwa 2000 Metern unhaltbar zu machen; ebenso vermag man mit den heutigen Geschützen (21 Centimeter-Mantelkanone und kurze 15 Centimeter-Kanone) von gleicher Entfernung aus Bresche zu schießen. Diese Umstünde mußten natürlich die Methode des förmlichen Angriffs für die Gegenwart vollständig ändern: Änderungen, die wiederum auf die Durchführung aller sortisikatorischeu Anlagen und für die Schaffung neuer Ge­schützkonstruktionen maßgebend sein mußten. Inwieweit die jetzt allgemein gültige Taktik des Festungskrieges, mit der auch wir uns hier, soweit es den Angreifer betrifft, beschäftigen, durch die neuesten Erfindungen auf dem Gebiete der Waffen­technik, durch das rancharme Pulver und die sogenannten

Brisanzgrauaten modificiert werden wird, läßt sich jetzt noch nicht übersehen. Was über die Wirkung der Brisanzgeschosse gesagt werden kann, läßt sich wohl am einfachsten, wie es General von Sauer in einem seiner Vortrüge thut, dahin zu- sammenfassen, daß die bisherigen Schutzmittel, Erde und Mauerwerk, nicht mehr ansreichen, um zweckentsprechende Deckungen herzustellen, welche dem Brisanzfeuer hinreichend widerstehen können. Man muß daher zu Eindeckungen mit Granit, Beton oder Panzerplatten, als Ersatz für das gewöhn­liche Manerwerk, seine Zuflucht nehmen. Solche Verstärkungen lassen sich aber weniger leicht auf Wall und Brustwehrkörpern oder sonstigen Schüttungen anbringen, so daß gerade die gegen gewöhnliche Granaten so widerstandsfähigen Erdbanten aller Art durch eine Beschießung mit Brisanzgeschossen sehr schnell zerstört werden dürften. Diese Verhältnisse werden, wie von Sauer weiter sagt, in nicht zu ferner Zeit ganz neue Formen der Befestigungskunst Hervorrufen; vorerst ist diese Frage aber nicht gelöst, und daher wird man auch schon der Kosten wegen in vielen Fällen und noch auf Jahre hinaus mit den vorhan­denen, möglichst verstärkten Festungswerken rechnen müssen. Gleich schwierige Aufgaben, wie dem Verteidiger, werden die Brisanzgeschosse dem Angreifer stellen, wenn er seine Erdbanten gegen ihre gewaltige Wirkung sichern will; diese wird sich auch insofern gegen Menschen in erhöhtem Maße äußern, als die Splitterwirkung der Brisanzgeschosse die der älteren Granaten ebenso übertrifft wie ihre Sprengwirkung. Dazu kommt noch, daß diese neuen Geschoßladungen Gase entwickeln, welche ähn­lich wie die Minenlust tödlich wirken. Führen außerdem neuere Versuche, großkalibrige Schnellfeuerkanonen zu kon­struieren, zu günstigen Resultaten, so dürften durch diese, in Verbindung mit jenen Geschossen, Wirkungen erzielt werden, die sich jetzt nur eine lebhafte Phantasie vorstellen kann.

Der förmliche Angriff sucht heute vor allem die eigenen Truppen möglichst zu schonen; vor allem auch durch künstliche Deckungen, selbst auf Kosten der Zeitersparnis, alle Berteidigungsmittel des Gegners methodisch zu zerstören und die Sturmfreiheit zu vernichten. Bevor zur Einschließung der Festung und dann zum Beginn des förmlichen Angriffs ge­schritten wird, wird die feindliche Festungberannt," um sie zu isolieren, die Zufuhr weiterer Vorräte zu verhindern und sic genau zu rekognoscieren. Ist dies geschehen, so erfolgt durch die Einschließung das gänzliche Abschließen der Festung, die Sicherung der Operationen des Belagernngscorps, der ruhen­den Truppen und Parkplätze gegen Ausfälle. Hierbei werden sich vielfach Einschließungsgefechte abspielen, um den Verteidiger aus seinen vor der Festung oft provisorisch befestigten Stel­lungen zu vertreiben, den Umfang der Einschließnngslinie mög lichst zu verringern und den Angreifer in den Besitz des Terrains zur Anlage seiner Artilleriepvsitionen zu bringen. Sobald dies geschehen, muß der Angreifer bestimmte Maß regeln treffen, einmal um die eigenen Bewegungen behufs schneller Concentration der ruhenden Streitkräfte nach allen etwa bedrohten Punkten zu ermöglichen und dann um durch Anbringung von Hindernismitteln und Freimachen des Schuß feldes, sowie durch fortisikatorische Befestigung der Einschließungs­stellung Ausfälle zu erschweren.

Zunächst hat der Angreifer nun die Angriffsfront festzu- stellen und bei der Wahl derselben vorerst zu berücksichtigen, daß ans dem kürzesten und schnellsten Wege auf den Kern des feindlichen Widerstandes gestoßen werde; ferner ist dabei die technische Ausführbarkeit der nötigen Arbeiten, die Bedeutung der einzelnen Werke und ihre Frontausdehnung, die Terrain- gestnltuug in Bezug auf Entfaltung eigener überlegener Artillerie und dergleichen mehr zu bedenken. Die Mehrzahl dieser Er­mittelungen ist bereits im Frieden durch gelegentliche Beobach­tungen oder Zeitungsnachrichten geschehen, so daß das Material den betreffenden Kommandobehörden beim Beginn der Belage­rung annähernd fertig übermittelt werden kann, was jedoch eingehende Rekognoszierungen an Ort und Stelle nicht aus­schließt. Auf Grund derselben wird von dem Kommandeur des