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Deutschland.
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die Schuld des Übersetzers, daß ein Rührstück, welches nur durch mühsam erpreßte Thränen einen Erfolg hätte haben können, als ein Lustspiel angezeigt war. Einige Zuschauer ließen sich davon täuschen und lachten anfangs. tm.
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Ein Feind der Trinkgelder. Ich weiß nicht, ob Sie ihn gekannt haben, meinen Freund Hans Dinkel. Wenn nicht, dann haben Sie einen interessanten Kopf weniger in Ihrer Galerie merkwürdiger Zeitgenossen zu verzeichnen. Was das Charakteristische in seiner geistigen Individualität ausmachte, ist allerdings ein verhältnismäßig unbedeutender Zug: seine unerbittliche Aversion gegen Trinkgelder. Dennoch hätten Sie ihm gern einen Platz in Ihrer Galerie eingeräumt. Denn diesem Haß hat er mit einer beispiellosen Konsequenz Zeit seines Lebens gefrönt, und er hat allmählich seine ganze Persönlichkeit durchsetzt. Aus allem, was er sprach und that, aus jeder Äußerung seines Gefühlslebens, fast ans jedem Zug seines Gesichtes möchte ich sagen, wehte einen schließlich dieser ungeheure Haß gegen das Trinkgeld an. Er hat nie ein Trinkgeld gegeben, nie, nie! Nicht dem Kellner im Wirtshaus, von dem er immer genauen Bescheid über die Qualität der auf der Speisenkarte verzeichnten Gerichte verlangte, nicht dem Kellner im Kaffeehaus, von dessen gutem Willen es abhing, ob er seine Leibblätter bekam oder nicht, nicht dem Dienstmädchen seiner Wirtin, das alle die hunderttausend Kleinigkeiten, von denen es in seinem Zimmer wimmelte, auf ihrem altgewohnten Platz belassen sollte, nicht dem Lohndiener des Hotels, der ihn in einer fremden Stadt umherführte, nicht dem Führer im Gebirge, auf dessen Dienste er nicht verzichten konnte, wollte er die Herrlichkeit der Gletscherwelt kennen lernen, nicht dem Zöschen der einzigen Frau, bei der er in seinem Leben Gegenliebe gefunden, . . . nie, nie, nie!
Die Gründe, warum er sich nicht hat entschließen können, ein Trinkgeld zu geben? Geiz? Engherzigkeit? Nein, keineswegs! Derlei war ihm vollständig fremd. Seine Idiosynkrasie gegen Trinkgelder hing vielmehr mit allerlei ethischen, sozialpolitischen, nationalökonomischen Theorieen zusammen. Das Trinkgeld korrumpiere deu Empfänger, pflegte er auszuführeu. Oder: die Unsitte, Trinkgelder zu geben, verschaffe dem wirtschaftlich Starken eine weitere Präponderanz über den wirtschaftlich Schwächeren. Oder: das Trinkgeld bedeute für den Empfänger keinen reellen Vorteil, da der Arbeitgeber des letzteren bei der Bemessung des Gehalts schon vorweg dessen voraussichtliche Einnahme aus den Trinkgeldern mit in Rechnung zu ziehen Pflege. Kurz, er hatte Gründe aller Art. Und sie hatten alle die vorzügliche Eigenschaft, daß sie in der Debatte zwar nicht immer seine Gegner, aber doch ihn selbst mehr und mehr von der Richtigkeit seines Standpunktes überzeugten. Und das ist ja der Zweck, dem jede Debatte dienen soll.
Ich verkehrte sehr viel und sehr gern mit ihm: denn er war ein liebenswürdiger, amüsanter Mensch. Und von dieser trinkgelderfeindlichen Richtung seines Inneren teilte sich seinem ganzen Wesen eine gewisse Schärfe mit, die die natürliche Lebhaftigkeit seines Wesens noch erhöhte und ihn zu einem manchmal schwer zu behandelnden, aber immer anregenden Gesellschafter machte. Man verzieh ihm darum leicht seine Marotte. Und man wurde schließlich gegen die Wichtigkeit abgestumpft, mit der er sie selbst behandelte. Drollig aber, urdrollig mußte es jeden, der das erste Mal mit ihm zusammentraf, berühren, wenn er sah, wie Hans Dinkel nach jeder Mahlzeit, die wir gemeinsam im Wirtshaus eingenommen, oder bei jeder sonstigen Gelegenheit, wo seine Mitmenschen pflichtschuldig ihre Trinkgeld-Steuer entrichtet hatten, sein Notizbuch hervorzog, sich über die Höhe der entrichteten Trinkgelder durch gewissenhafte Umfrage vergewisserte und die Summe notierte. Denn er hatte es sich zum Ziel gesetzt, festzustelleu, wie viel ein Mensch in bürgerlichen Lebensverhältnissen durchschnittlich täglich an Trinkgeldern ersparen könne. Und er hat dieses Ziel erreicht. Nach seiner Behauptung könnte jeder von uns täglich durchschnittlich 330g Pfg- zurücklegen, wenn er sich ein für allemal von der Verpflichtung, Trinkgelder zu geben, lossagte. Hans Dinkel selbst wollte auf diese Weise bis zu seinem vierzigsten Lebensjahre auf Heller und Pfennig genau 4008 Mk. 35 Pfg. erspart haben.
Ja, er hat 4008 Mk. 35 Pfg. erspart. Und das ist eine respektable Summe.
Allerdings, man hat ihm zeitlebens im Wirtshaus die bösartigsten Dinge vorgesetzt. Schließlich hat er sich einen Magenkatarrh eingewirt-
schaftet, den er nicht loswerden konnte, trotz der Unsummen, die er an Ärzte und Apotheker gezahlt hat. — Er hat es auch nie dazu gebracht, daß er des Morgens, wenn er das Kaffeehaus verließ, über alles informiert war, was in den Zeitungen an wichtigen Nachrichten enthalten war. Und infolge dieser mangelhaften Information hat er bei seinen geschäftlichen Operationen mehr als einmal enorme Verluste erlitten.
Jeden Nachmittag, wenn er nach Hause kam, hatte er vollauf Gelegenheit, sich grün und gelb zu ärgern. Denn alle die verschiedenen Waffen und Tassen und Statuetten, die seine Wohnung zierten, hatten ihren angestammten Platz gegen einen anderen eingetauscht, den ihnen die selbstherrliche Phantasie des Stubenmädchens angewiesen hatte.
Er hat Rom verlassen, ohne den Papst gesehen zu haben, weil der Portier den Bescheid, mit dem ihm die Audienz im Vatikan bewilligt wurde, drei Tage lang bei sich in der Tasche behalten hat.
Als er bei einer Besteigung des Großglockners abrutschte, ließen ihn die Führer sechs Stunden lang liegen. Inzwischen erfroren ihm die Nase, das linke Ohr und drei Finger der rechten Hand.
Als seine Geliebte ihm endlich ein Rendezvous bewilligte, verständigte ihre Zofe davon seinen Nebenbuhler. Der kam, wurde gesehen und siegte, während Hans Dinkel einsam durchs Leben gewandelt ist.
Aber er hat 4008 Mk. 35 Pfg. erspart. Das ist eine respektable Summe. Sein Beispiel sei darum zur Nachahmung empfohlen.
44. Lana.
Hans Hopfen. Neue Geschichten des Majors. (Berlin, Verlag von Gebrüder Paetel. 1890.)
Hans Hopfen ist unter allen Liebhabern und Kennern der schönen Litteratur als eines unserer stärksten Talente gekannt und bewundert; bei dein größeren Publikum schwankt sein Charakterbild in sehr merkwürdiger Weise: die einen lieben den Dichter zarter Liebeslieder und kräftiger Balladen so sehr, daß sie den Roman- und Novellenschriftsteller darüber unterschätzen, und die andern, welche vielleicht auf jeden neuen Band Hopfenscher Erzählungen ungeduldig lauern, wissen oft nichts von dem Poeten. Was Hans Hopfen für sich selbst zu schreiben pflegt, das hat ein Publikum gefunden; das große Publikum aber, für welches Hopfen seine andern Bücher schreibt, ist wieder ein anderes. — Die neuen Geschichten des Majors sind teils nur für die Leser, teils auch für den Dichter selbst geschrieben. Es sind drei Novellen, von denen die letzte, „Schneidiges Liebchen," unsere Zeitschrift glücklich eröffnet hat. Wir fühlen uns da ein wenig Partei und wollen nicht unfern eigenen Tisch loben. „Der polnische Wachtmeister" ist recht nach dem Geschmack des norddeutschen Publikums mit der ganzen bayrischen Kraft Hopfens geschrieben: Münchener Bier für Berlin eingebraut. Die Darstellung eines allmächtigen, leider dem Suff ergebenen Wachtmeisters, der die ihm untergeordneten Einjährigen maßlos drangsaliert, dafür aber von ihnen schließlich durch seine Liqueure zum clelirium trsEim und zum Tode gebracht wird. Diese Charakterzeichnung ist au sich eine köstliche Naturstudie, dadurch aber, daß Hopfen ängstlich vermieden hat, in dem bestechlichen Trinker einen bekannten Typus zu schildern, dadurch, daß er deu Wachtmeister in jedem Punkte zu einem Ausnahme-Menschen gestempelt hat, ist die ganze Geschichte phantastischer geworden, als diese Gattung wohl sein sollte. „Die schöne Helena" von Baron von Roberts ist das Werk eines geringeren Dichters; aber den preußischen Unteroffizier hat der ehemalige Lieutenant genauer kennen gelernt. — Weitaus lebendiger ist das Leben der Herren Offiziere in der ersten der Novellen, der schönen Dichtung „Übergangen!" geschildert. Die bewährte Fähigkeit Hopfens, irgend ein kleines aber leidenschaftlich bewegtes Erlebnis so farbig auszumalen, daß der Leser alle handelnden Personen nicht wieder vergißt, wirkt gerade in der Einleitung von „Übergangen" mit verblüffender Kraft. — Daß die Sprache die eines wirklichen Poeten ist und hie und da ebenso kecke wie gelungene Prachtstellen bietet, das versteht sich bei Hopfen von selbst. Ebenso daß der Dichter sich's mitunter leicht macht, diesmal besonders in der Technik der Majorsgeschichten. Der Major, welcher hübsch aber nur flüchtig charakterisiert wird, mag ein kleiner Aufschneider sein; denn er erzählt uns mitunter richtige Buchgeschichten, als ob er sie erlebt hätte. — Alles in allem ein Buch, welches der Menge gefallen wird, trotzdem es von einem Dichter geschrieben ist. r.
Verantwortlicher Redakteur: Fritz Mauthner in Berlin rv., Frobenstraße 33. — Druck und Verlag von Carl Flemming in Glogau.