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Deutschland.
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zosen, welche Anregungen wir ihnen verdanken. Herr de Morsier glaubt mit seinen Landsleuten, daß in Deutschland neben der Invasion Vvn Übersetzungen der französischen Dramen und Rvmane eine völlig autochthone nationale Litteratur bestehe. Wir aber wissen, daß unsere größten Litteraturströ- mungen ihre Quellen in Frankreich hatten, daß Wvlfram von Eschenbach und Goethe anfangs von Frankreich lernten und daß heute wieder Frankreich uns die Aufgaben stellt. Wir können das ruhig anerkennen, weil wir wissen, daß unsere höchste Kraft doch stärker ist als die unserer Kunstlehrer, daß Goethe das ganze französische achtzehnte Jahrhundert überragt, welches ihn doch gebildet hat.
Wenn Herr de Morsier mit seinem Buche die Absicht verfolgte, die deutsche Romandichtung in Frankreich einzuführen, so war er in der Wahl der Dichter nicht ganz glücklich. Seine Aufsätze verbreiten sich über Friedrich Spielhagen, Paul Hcyse, Gustav Freytag und Wilhelm Raabe. Alle vier gehören ohne Zweifel zu unseren ersten Schriftstellern, und daß der bei uns nicht nach Gebühr geschützte Raabe zu solcher Anerkennung kommt, ist besonders erfreulich. Aber unter den zahlreichen Schriften dieser Dichter sind nur wenige, welche erobernde Kraft fiir Frankreich haben dürften. Nur Paul Heyses Novellen durch ihre vollendete Kunst und Freytags „Soll und Haben" durch den etwas philiströsen, aber einheitlich ironischen Ton dieses Romans können dem französischen Publikum behagen. Die politischen Zeitromane Friedrich Spielhagens setzen eine zu genaue Kenntnis des deutschen geistigen Lebens voraus, und Wilhelm Raabe ist unübersetzbar, ja selbst für deutsche Leser nicht immer leicht verständlich. Wollte Herr de Morsier mit Erfolg als Vermittler thätig sein, so mußte er auch die realistische Bewegung der letzten zehn Jahre durchforschen und wäre da freilich häufig auf liederliche Arbeit, noch häufiger auf schlechte Nachahmung der Franzosen gestoßen.
Vielleicht wollte er aber mit größerer Klugheit und Bescheidenheit bloß die Früchte seiner eigenen deutschen Studien sammeln und sich hüben und drüben als ein genauer Kenner der deutschen Litteratur und des deutschen Lebens vorstellen. Das wäre ihm denn so ziemlich gelungen. Von der berüchtigten Unkenntnis, mit welcher sonst wohl Franzosen über fremde Länder schreiben, ist bei ihm keine Rede. Er hat offenbar längere Zeit in Deutschland gelebt und viele deutsche Bücher mit seltener Sprachkeuntnis gelesen. Er giebt viele deutsche Worte zum besten, und wenn er „Vorleser" mit pro- irrisr leotsrrr übersetzt, so ist das ein ganz vereinzelter Schnitzer. Schlimmer ist schon, daß er sein immerhin zufälliges Material für vollständig hält und sich da wohl auf gefällige Gewährsmänner verläßt. So nennt er Julius Rodenberg ernsthaft als einen Lyriker neben Storm. Dann wieder spricht er von der Mark und kennt Theodor Fontane nicht, spricht von der Wiener Volksdichtung und kennt Ludwig Anzengruber nicht. Gerade diese Dichter aber, deren Schöpfungen so starker Erdgeruch anhaftet, Hütten am besten dazu dienen können, in Paris den friedlichen Kampf mit den Russen aufzunehmen.
Auch Land und Leute kennt Herr de Morsier im ganzen und großen besser, als man einem Franzosen gewöhnlich zutraut. Daß er die „rote Erde" auf der Eisenbahnstrecke zwischen München und Nürnberg sucht und findet, das ist zwar wieder ein vereinzelter Unfall; es hat ihm wohl jemand einen Büren aufgebunden. Seine kleinen, sorgsam stilisierten Bilder aus dem deutschen Wirtshausleben, seine Bemerkungen über die deutsche Lust am Geschichtenerzähler:, über die deutsche Sentimentalität und über die deutsche Offenheit tragen alle dasselbe Gepräge. Sie gehen von einer guten Anschauung aus, aber verallgemeinern das, was der Verfasser erfahren hat, in ungebührlicher Weise. Die Schilderungen sind für uns fast immer schmeichelhaft, wenn wir noch immer für ein Volk von träumerischen Denkern und Dichtern gelten wollen; aber sie sind unwahr.
Der weltfremde deutsche Professor und der unpolitische deutsche Kleinbürger aus vergangener Zeit treten vor uns auf, als ob der Verfasser seine Studien bei Benedix gemacht Hütte. Und ein Kapitel über die deutsche Ehrlichkeit liest sich wie eine Hymne der guten Frau von Staöl. „Die Deutschen sind ehrlich, offen und gerade, sie sehen auch bei anderen nicht die Falschheit, die Lüge, den Betrug. Unfähig zu täuschen, wollten sie es niemals glauben, daß man sie täuscht. Sie sind einfältig und naiv. Sie sagen gerade heraus, was sie denken; sie zeigen sich ganz, wie sie sind. Ihre größten Gelehrten sind von köstlicher Treuherzigkeit . . . Niemals wird es ihnen einfallen, ihre Werkstatt dem Neugierigen zu verschließen, ihre ersten Versuche und ihre Methoden zu verschweigen." Na, na!
Neben solchen Phantasieen finden sich aber auch ganz annehmbare Vergleiche zwischen den beiden Völkern. Immer ist der Verfasser der Gefahr ausgesetzt, seine hübschen Beobachtungen durch allzugroße Verallgemeinerung zu entwerten; wo er aber viele Beobachtungen gesammelt hat, da weiß er einen Gedanken gnt auszudrücken. So wenn er sagt: „Für uns ist
die Litteratur Kunstarbeit, für die Deutschen Gedankenarbeit." Daran ist leider viel Wahres. Der beste Abschnitt des de Morsierschen Buches ist eine Vergleichung der deutschen mit der französischen Sprache. Was der Verfasser hier vorbringt, ist sachlich nicht neu, aber so gerecht im Urteil, so anmutig in der Form und schließlich für uns so angenehm zu hören, daß wir Edouard de Morsier für diese wenigen Seiten allein zu unseren Freunden zählen wollen.
Wer die Schönheiten der gealterten französischen Sprache so vollständig und so achtungsvoll aufzühlt und wer dann die Reize der jüngeren deutschen Sprache so ahnungsvoll zu fassen sucht, der liebt die jüngere von den beiden, der liebt die deutsche Sprache und Litteratur. Und das ist sehr hübsch von Edouard de Morsier.
Klleine Kritik.
Werden in Deutschland so wenige Bücher gekauft, weil sie so teuer sind, oder sind sie so teuer, weil so wenige gekauft werden? Eine alte Streitfrage, die jetzt endlich in ein neues Stadium zu treten scheint. Nachdem „Rembrandt als Erzieher," ein gut ansgestatteter Band von 303 großen Seiten, in allerkürzester Zeit die für unsere Verhältnisse beinahe unerhörte Zahl vvn zwölf Auflagen erreicht hat, fangen auch deutsche Verleger an, die Bücherpreise etwas herabzusetzen. Sv veranstaltet der Verlag vvn F. Fvntane in Berlin eine drei Mark-Ausgabe vvn Theodor Fontanes letztjährigen Rvmanen und Novellen. Bisher erschienen zu diesem billigen Preise des Dichters „L'Adultera," „Graf Petvfy," das Meisterwerk „Irrungen, Wirrungen" und die den Lesern dieser Wochenschrift wohlbekannte „Stine." Später soll auch der „Schach von Wuthenvv" folgen, ein mit feiner realistischer Kunst gemaltes Zeitbild der preußischen Armee aus den Tagen vor Jena. Hoffentlich trägt diese sauber ausgestattete Neuausgabe dazu bei, die Reihen der Fontanegemeinde recht beträchtlich zu verstärken. — Die Franzosen, die uns in der Billigkeit der Bücher schon längst „über" sind, und deren Verleger die besten Romane der beliebtesten Autoren mit geschmackvollen Illustrationen für den Normalpreis von 3,50 Fres. abgeben, haben soeben einen neuen Schritt zur Verbilligung gemacht. Bei Marpon und Flammarion in Paris erscheint eine Bibliothek von Eteurs ooltzbre«,» deren hübsche Bändchen nur 60 Centimes kosten. Etwa 150 Bände sind bisher erschienen, jeder Band enthält ein abgeschlossenes Werk und ist einzeln käuflich. Eine ganze Reihe von Novellen Zolas, Maupassants und anderer Moderner ist da zu haben; Daudet, Meudtzs, Richepiu, Bonne- taiu, Villiers de l'Jsle-Adam fehlen nicht, und von den alten und älteren, französischen, deutschen, russischen Autoren ist eine gute Auswahl vorhanden. Die neue Bibliothek ist sehr zu empfehlen - auch deutschen Verlegern zur gefälligen Nachahmung. —ein
Verantwortlicher Redakteur: Fritz Mauthner in Berlin 'VV-, Frobensiraßc 33. — Druck und Verlag von Carl Flemming in Glogau.