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Deutschland.
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gune überfallenen Büffel in Atzungsgier zerfleischen, stets ist es das Tier, welches als solches zunächst interessiert. Wie ist da jede Bewegung mit der peinlichsten Genauigkeit beobachtet, mit welcher enormen Auffassung und Sicherheit festgehaltcn, mit welcher zeichnerischen und malerischen Kraft wiedergegeben! Wie versteht er das Leben darzustellen, wie versteht er das tote Tier, dem, wie Homer so malerisch sagt, die Glieder gelöst sind, das unter Erschlaffung aller Muskeln der Schwere nach hinfällt und regungslos liegen bleibt, glaubhaft zu machen! Aber nicht nur die Behandlung des Hauptsächlichen ist bei ihm meisterhaft, auch das Nebensächliche verrät stets den großen Künstler. Man sehe, wie er seine Tiere in die Landschaft hineinstellt, wie er sie mit der sie umgebenden Natur in Beziehung bringt, ihren Charakter gleichsam aus den für sie maßgebenden Verhältnissen heraus erklärt. Die Landschaften seiner Tierdarstellungen sind ebenso charakteristisch wie diese selbst, und was man sieht, gehört zu einander, wie die Teile eines Ganzen. Er schematisiert nicht, obwohl man ihm diese Bequemlichkeit in Anbetracht seiner vollendeten Hauptsachen vielleicht verzeihen könnte. Er will sich keine, ich möchte sagen, landschaftlichen Formulare schaffen, in die er die Tiere einfach eintrügt, wie verschiedene Posten in verschiedene Bücher.
Sind nun diese Landschaften vorzüglich für den Charakter des Bildes konzipiert, so sind sie nicht weniger gut gemalt. Friese gleicht jenen Sängern, die so vorzüglich darstellen, daß sie nach Verlust der Stimme immer noch große Schauspieler werden könnten. Wenn es ihm einfiele, der Tiermalerei zu entsagen, so würde er immer noch ein vorzüglicher Landschafter werden können.
Wenn ich aber alles zusammennehme, was Friese als Künstler auszeichnet, so muß ich den Hauptwert darin finden, daß er sich nicht beschränkt. Es ist von alters her zu beobachten, daß alle Künstler, welche nicht universal waren, es darauf absahen, sich eine Specinlitüt zu schaffen, in der sie unbestrittene Meister waren, und die ihre Werke vor allen anderen als die ihrigen kenntlich machten. Davon ist bei Friese keine Spur. Er ist wohl Tiermaler; aber als solcher ist er universell, und er ist es in den Haupt- wie in den Nebensachen. Er malt nicht nur die Wildheit und den Kampf, er malt ebenso die Zahmheit und den Frieden; seine Luft ist nicht nur glühend und heiß wie die Tropen, sie ist auch kalt und eisig wie der Winter. Alles in allem ist Friese eine singulare Erscheinung und Hütte in dieser seiner Eigenschaft ohne jede Frage als der erste die große goldene Medaille bekommen müssen, zumal die Durchführung bei ihm vorzüglich ist, da sie von einer geradezu verblüffenden Technik unterstützt wird. Dieser Mann nun ist vollständig übergangen worden, und der Preis, der ihm zukam wie keinem andern, ist einem Manne zu teil geworden, dem er nicht mehr zukam, wie zehn anderen. Wollte die Jury Herrn Kiesel mit aller Gewalt die große goldene Medaille geben — llulleut Mi, sie Hütte aber, was sie durch die eine That sündigte, durch eine andere gut machen müssen. Und zu einer solchen That hat sie sich die Befähigung selbst abgesprochen dadurch, daß sie einen Künstler von Gottes Gnaden, wie Friese einer ist, von dieser — allerdings oft nur vermeintlichen — Ehre der großen goldenen Medaille ausschloß. —
Lin Franzose über Deutschland.
Bon
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^^as deutsche Volk hat schon zweimal das Glück gehabt,
von großen romanischen Ausländern aus reiner Bosheit in den Himmel gehoben zu werden. Das berühmte Buch der Frau von Staäl und die noch berühmtere Germania von Taeitus sind entstanden, weil die Verfasser über die Ty
rannei ihrer Cäsaren und über den Sklavensinn ihrer Landsleute außer sich gerieten und ihren Franzosen und Römern das Idealbild eines edlen, ehrlichen, freiheitliebenden Volkes Vorhalten wollten. Da konnte sich wirklich der dritte freuen, weil zwei stritten. Als freilich einmal ein patriotischer Deutscher den Spieß umkehrte und für Frankreich schwärmte, um Deutschland aufzurütteln, als Ludwig Löwe aus ebenso reiner Bosheit die Franzosen lobte, da wurde er bei uns für einen Vaterlandsverräter erklärt. Herr von Treitschke nennt ihn heute noch so und doch wird auch Herr von Treitschke seinen Freund Taeitus für einen' guten Römer und Frau von Staöl für eine gute Französin gelten lassen.
Ein soeben erschienenes Buch, welches zu diesen Bemerkungen Veranlassung giebt, „lloinunoiers ^Ileinunckk Oont6irn)oruiu8" von Edouard de Morsier,* bemüht sich gegen Deutschland so gerecht zu sein, daß man unwillkürlich fragt, welchem Hasse wir diese Liebe zu danken haben. Aber der Verfasser ist keine so politische Persönlichkeit. Ihn kümmern in erster Linie nur literarische Fragen und sein akademischer Stil. Mit einem seit zwanzig Jahren unerhörten Gerechtigkeitsgefühl sucht er dem deutschen Volkscharakter gute Seiten abzugewinnen und die deutschen Dichter, die er kennt, zu würdigen; aber seine Urteile sind nicht scharf, sie haben vor allem keine Spitze gegen Frankreich. Die Werke von Ta- citus und der Stael sind große Idealbilder, welche das Volk der Verfasser ärgern, stacheln, bessern sollten; Herr de Morsier will seinen Franzosen nur berichten, was er von der gegenwärtigen deutschen Litteratur, oder vielmehr von der Litteratur der ausklingenden Epoche weiß. In einer langen Vorrede und in eingestreuten kleinen Abhandlungen äußert sich Herr de Morsier wohlwollend über deutsche Biederkeit, deutsche Kneipen, deutsche Gemütlichkeit und die deutschen Frauen. Überall tritt er den herrschenden französischen Vorurteilen entgegen; aber nirgends versäumt er es, die Pille für seine Landsleute zu überzuckern. Er wird nicht chauvinistisch; aber er schont das Selbstbewußtsein des Parisers. Die Deutschen sind ihm die besten Menschen — nach den Franzosen.
In unserer Zeit des allgemeinen Völkerhasses haben wir für ein solches Buch dankbar zu sein. Herr de Morsier wird sicherlich bei vielen seiner französischen Leser eine Umstimmung zu Gunsten Deutschlands bewirken, und wenn es ihm gelingen würde, deutsche Dichtung in Frankreich etwa so populär zu machen, wie es dort augenblicklich die russische ist, so könnte das zur Versöhnung der Gegensätze allerdings sehr viel beitragen. Einstweilen muß es schon genügen, daß ein einzelner französischer Schriftsteller ein Buch über Deutschland zu schreiben wagt, ohne bei dieser Gelegenheit Elsaß und Lothringen zurückzüfordern. Herr de Morsier schließt seine Vorrede init folgenden Worten: „Der Franzose begreift durch das Herz, der Deutsche durch den Kopf. Der Geist Frankreichs ist Liebe, der Geist Deutschlands Wissenschaft. Es giebt auf der Welt nicht wieder zwei Volksstämme, die einander so vollkommen ergänzen, und dennoch färbt sich der Rhein zwischen ihnen beiden seit Jahrhunderten mit Strömen von Blut. Werden sie sich einmal, des Gemetzels müde, verstehen wollen, so wird das den Frieden Europas und der Welt bedeuten."
Wir wollen den Gegensatz von Liebe und Wissenschaft beiseite lassen und auch nicht untersuchen, ob das Bild von dem blutgefärbten Rhein nicht am Ende doch zwischen den Zeilen den Rhein als Grenze fordert. Herr de Morsier kann aber überzeugt sein, daß das deutsche Volk, solange seine gegenwärtige Machtstellung nicht bedroht wird, den Franzosen nicht feindlich gegenübersteht. Wenigstens jeder gebildete Deutsche hat Achtung vor Frankreichs Geschichte und Bewunderung für Frankreichs Kunst und Litteratur. Nicht einmal das zwanzigjährige Revanchegeschrei von dort und das endlich wiedergewonnene Selbstbewusstsein auf unserer Seite hat daran viel zu ändern vermocht. Wir wissen sogar besser als die Frau-
* Paris, Perrin L Cie.