Heft 
(1889) 51
Seite
822
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Deutschland.

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Kraft, zu charakterisieren, nicht überall in gleicher Weise zu Gebote steht, beweist ihr Porträt ihrer Mutter. Jeder, der das Bild betrachtet, wird es als ein vornehmes Werk aner­kennen, wer aber ihre Mutter persönlich gekannt, wird zugeben, daß außer einer gewissen äußerlichen Ähnlichkeit so ziemlich kein Zug daran der Wahrheit entspricht. Wenn Frau Par- laghh die kleine goldene Medaille erhielt, so gebührt diese Aus­zeichnung in mindestens demselben Maße der Portrütmalerin Betty Wolfs, welche sich mit einer, ehrenvollen Erwähnung begnügen mußte. Allerdings hat sie bis jetzt noch keine Aus­zeichnung erhalten, und es mag ihr zum Tröste dienen, daß man auch in der Berliner Kunstkaserne erst Gefreiter, dann Unteroffizier und Feldwebel wird. So könnte ich noch mehrere nennen, die ihre Auszeichnungen verdient haben, wie Manzel und Hirschl; denselben stehen aber unter den kleineren Prä­miierten andere gegenüber, die gar nichts verdient haben, wie Boese und Kvppay.

Vollständig vergriffen aber hat sich die Jury bei der Ver­teilung einer der großen goldenen Medaillen. Dieselben haben erhalten Konrad Kiesel und Karl Köpping. Ob sie Herr Köp- ping verdient hat, ist nicht gerade ausgemacht. Ich meine es nicht deshalb, weil ich ihn nicht für einen ganz vortrefflichen Radierer halte. Aber, ist überhaupt eine solche höchste Aus­zeichnung für einen Nachschöpfer, und ein solcher ist doch Herr Köpping nur, angebracht? Wenn er ein Kunstwerk noch so schön nachradiert, so hat er damit doch nichts für die Kunst selbst geleistet, ebensowenig wie ein Schauspieler, der eine Rolle noch so meisterhaft wiedergiebt, darum einen Preis für dra­matische Leistungen beanspruchen dürfte oder erhielte. Ans jeder Ausstellung für graphische Nachbildung würde Herr Köpping den ersten Preis verdienen, die Berliner akademische Kunst­ausstellung ist aber für Selbstgebildetes da, und deshalb Hütte man Herrn Köpping die große goldene Medaille nicht geben müssen.

Indes soll diese Frage hier nicht entschieden sein; denn über den strittigen Punkt, ob nämlich die Radierung im Köpping- schen Sinne eine selbständige Kunst ist, soll sich jeder sein Urteil selbst bilden, danach wird er der Verleihung jener Aus­zeichnung znstimmen oder ihr die Berechtigung versagen. Wie man aber Herrn Kiesel die große goldene Medaille geben kann, das ist denn doch etwas rätselhaft. Was hat denn Herr Kiesel geleistet, daß er dieser Ehre würdig erscheinen sollte? Was bis zu dieser, was auf dieser Ausstellung?

Wer das Schaffen dieses Künstlers kennt, der weiß ziem­lich genau, daß er von vornherein für die große Menge arbei­tete, und daß künstlerische Gewissensbisse allein ihn davon fern­hielten, auch in der Wahl seiner Mittel dieses brutale Ziel zu verfolgen. Ich versage Herrn Kiesel nicht das Lob, daß er einer der besten unserersüßen" Maler ist, d. h. derjenigen Maler, welche Bilder geben, bei denen jenes unheimliche Bei­wort für ein unumgängliches Postulat erscheint. Es soll Herrn Kiesel nicht abgesprochen werden, daß er sich mit der Farbe eine unendliche Mühe giebt; ein Kolorist ist er entschieden nicht, eben weil er sich müht. Welche Arbeiten, so frage ich, geben Herrn Kiesel nun das Anrecht darauf, künftige ohne Urteil der Jury der Ausstellung zuznschicken. Er hat für gedankenlose Leute Genrebilder gemalt, die für denkende zu groß waren; er hat im vorigen Jahre ein Porträt der Kaiserin Augusta Victora ausgestellt, nicht schlechter und nicht besser, als es jeder andere routinierte Künstler auch würde gegeben haben. Das ist, was er bisher geleistet.

Und für diese Ausstellung? Die prämiierte Arbeit ist wiederum ein sehr sauber gemaltes Kostümstück, die Figur stört das Kleid in keiner Weise, sie ist so ruhig gehalten, daß sie kaum auffüllt, und der Hintergrund ist so tief, daß man sich darüber wundert, wie die ganze Figur noch nicht hineingefallen ist. Der gute Wille, die technische Beherrschung des Stoff­lichen sind dem Bilde sicher nicht abzusprechen; das ist aber zum Teil gut für den Anfang, zum Teil Nebensache. Das Bild hätte eine ehrenvolle Erwähnung wegen des Fleißes ver­

dient, aber nicht die große goldene Medaille, die es gewiß nur bekommen hat, weil es so gut durchgeführt ist. Die Jury giebt darauf sehr viel, und ich bin überzeugt, daß, wenn Franz Hals heute die Hille Bobbe ausstellte, man sie ihm in Berlin wegen mangelhafter Durchführung in die Versenkung stecken würde. Herr Kiesel aber kann von heute ab so schlecht aus­führen oder so gut als er will, seine Arbeiten unterliegen nicht mehr dem Wahrspruch der Geschworenen, er hat die große goldene Medaille, ebenso wie andere Leute auch, er ist ebenso unsterblich wie andere Leute auch, und wenn Apollo auf jener Welt alle mit der großen goldenen Medaille prämiierten Herren versammelt, so sondert er die Lämmer Kiesel, Karl Becker (und noch andere) aus und wirft die Böcke, wie Mentzel, Knaus, Makart (und andere) zum Tempel hinaus. Die mögen dann sehen, was sie anfangen!

Hat nun aber die Jury bei der Verteilung der Preise gesündigt durch das, was sie gethan, so hat sie es noch viel­mehr durch das, was sie unterlassen hat. Wenn ihr Kiesel als der bedeutendste Maler erschien, so ist das ihre Sache und sie ist um ihren Geschmack und ihr Urteil nicht zu beneiden; wenn ihr aber daneben nicht noch ein anderer als mindestens mit Kiesel konkurrierend erschien, so ist sie ganz direkt zu be­dauern. Und dieser eine ist: der Tiermaler Friese.

Die Größe dieses Künstlers erscheint mir so wenig ge­würdigt, daß ich nicht umhin kann, seiner Bedeutung einige Worte zu widmen. Dieselbe beruht auf mehreren Umstünden. Erstens sind große Meister überhaupt augenblicklich nicht allzu zahlreich, und ganz besonders liegt die Tiermalerei im argen. Die Franzosen, welche in fast allen Fächern der Malerei die ersten Vertreter stellen können, gehen in der Tiermalerei fast ganz leer aus, von anderen Nationen gar nicht zu reden; höch­stens Pferdemaler von Ruf könnte man nennen. Unter solchen Umstünden mußte Friese, selbst wenn er nicht ein so großer Künstler wäre, als er thatsüchlich ist, höchst vorteilhaft auf­fallen; allein selbst wenn man das Bedeutendste, was auf sei­nem Gebiete geleistet ist, gegen seine Arbeiten hält, so steht er immer noch in allererster Reihe. Ein Vergleich zwischen ihm und Meyerheim liegt, so zu sagen, in der Luft, und ich will demselben um so weniger aus dem Wege gehen, als er mir zur Klarstellung von Frieses Bedeutung die beste Handhabe bietet. Meyerheim gilt wohl so ziemlich als der erste deutsche Tiermaler, und nicht ohne Recht; aber Meyerheim malt nicht die Tiere, er malt mit Tieren. Ich will mich deutlicher ausdrücken: Meyerheims letzte Absicht ist es nicht, die Tiere darznstellen, sondern mit ihrer Hilfe einem guten Witze, einem humoristischen Einfall seinerseits Ausdruck zu geben.

Alle Tierdarstellungen Meyerheims wirken nicht deshalb, weil die Tiere großartig aufgefaßt und wiedergegeben sind, sondern wegen des Gegensatzes, oder noch objektiver gesagt, wegen der Beziehungen, in die sie zu den sie umgebenden Menschen oder Gegenständen treten. Meyerheim ist nicht vor allen Dingen Tiermaler, sondern Humorist, und als solcher völlig subjektiv. Er stellt sich mitten in das Bild hinein und macht Randglossen, und diese sind meist vorzüglich.

Ganz im Gegensätze zu alledem steht Friese. Er ist der wirkliche Tiermaler, derjenige, welcher das Tier an sich malt. Bei ihm giebt es keine Nebenumstände, welche das Ganze statt zu einer Natnrschilderung, es vielmehr zu einer geistreichen Fabel machen, wie bei Meyerheim. Er erzählt uns nicht, daß einmal, als die Affen Skat chielten u. s. w., oder als die Affen sich mit Champagner betranken u. s. w., sondern er er­zählt uns nur Dinge, welche zu den Tieren gehören, Thaten, die sie als Tiere und nicht als verkappte Menschen verüben. Mag sein alter Herr vom Berge, in königlichem Schritte den Abhang hinabgehend, der Karawane auf altgewohnte Art den Weg abschneiden, mag ein Elch den anderen niederstechen und mit halb wütendem, halb befriedigtem Blicke ans das Opfer seiner Stärke herabsehen, mag das Damwild, das Unterholz aufzusuchen, beim Sonnenuntergang am Feldrain in die schneeige Landschaft hineinziehen, mögen zwei Löwen den an der La-