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Nr. 5t.
Erscheint Sonnabends
und ist in der Post-Zcitungspreisliste unter Nr. 1738 eingetragen.
Berlin, den 20. September.
Aboiiiiemeiltspreis
bei der Post oder im Buchhandel vierteljährlich 3 Mark.
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Inhalt: Hermann und Dorothea. Von Otto Ncnmanu-Hofer. — Die Bewegung der deutschen Kriminalität. Bon Ludwig Fuld. — Wechselstrom oder Gleichstrom? Die Kardinalfrage der Elektricitätswerke. Von W. Berdrow, Ingenieur (Schluß). — Zwei Reden eines deutschen Arbeitsministcrs im zwanzigsten Jahrhundert. Von G. Lewinstcin. I. — Noch einmal die akademischen Ausstellungspreisc. Von Julius Ev. -- Ein Franzose über Deutschland. Von F. M. — Kleine Kritik.
Hermann und
Boit
Otto Nemnann - Hofer.
Uünlein Dorothea Töpfer war eine wohlbeleibte Dame ^ von sechsuuddreißig Jahren, mit einem bleifarbenen Gesicht, das wie ein gedunsener Mond dreinschaute. Eine kurze dicke Nase setzte sich in der Mitte auf über Lippen, die fleischig, aber blaß und stets halb geöffnet waren. Keine Falte störte die fette Gleichgültigkeit ihrer Züge, und ihre großen wasserblauen Augen blickten leer in die Weite mit jenem verwunderten Ausdruck, der den Bewohnern des platten Landes eigen ist und an den Blick einer verdauenden Kuh erinnert. Ihr dunkelbraunes Haar war in der Mitte gescheitelt, es umrahmte in einem glatten starren Oval die niedrige Stirn, die von einer rauhen, rissigen Haut straff überspannt wurde. Es war die verkürzte, unedle Stirn der wendischen Mischrasse, an den Schläfen flog sie zurück und ließ dadurch die ohnehin stark entwickelten Backenknochen fast henkelartig hervortreten. Doch wurde die Plumpheit dieser Züge von einem schmalen Unterkiefer und einem kleinen Kinn gemildert, so daß das Gesicht das friedliche Aussehen einer vollsaftigen geschälten Birne gewann.
Sie hatte ihr Leben als Wirtschafterin bei alleinstehenden älteren Herren zugebracht. Sie war eine treue, ordentliche Dienerin, welche pünktlich ihre Pflichten erfüllte und über ihren Brotgeber eine stille regelnde Herrschaft ausübte. Nicht aus menschlicher Anteilnahme, sondern aus dem Eigensinn der dumpfen Werkeltagslaune, welche die Dienstmenschen, die zu lebenslänglicher hoffnungsloser Abhängigkeit verurteilt sind, ihr „Pflichtgefühl" nennen: es war die Tyrannei einer präzis gehenden Uhr. Daß sie etwa einen der alten Junggesellen reizen könnte, sie zu heiraten, daran hatte sie nie gedacht. Weibliche Koketterie blieb im Verkehr mit ihren Dienstherren völlig ausgeschlossen. Es konnte nicht fehlen, daß sie dann und wann
den lüsternen Blick eines dieser Hagestolzen auf ihren üppig entwickelten Körperformen ruhen fühlte; dann empfand sie nur eine ärgerliche Scheu und beeilte sich, stumm von dannen zu schleichen. Für listige Pläne war ihr starres Gehirn kein ergiebiger Boden. Noch weniger war je ihr schlafendes Herz von einem männlichen Wesen beunruhigt worden. Ihre weibliche Tugend erlitt nie eine Anfechtung, und niemals hatte sie den Trieb empfunden, die engsten Grenzen jungfräulicher Zurückhaltung zu überschreiten. Kein Hauch von Poesie störte ihr dumpfes Gemüt. Sie kannte nicht die zitternde Unruhe in den Nerven beim Nahen des Frühlings; auf den vorörtlichen Bällen, die sie in früheren Jahren zuweilen besucht hatte, vermochte weder Musik, noch Tanzbegierde, noch die derbe Galanterie der sonntäglichen Kavaliere ihre Sinne zu erregen. Nie hatte sie geträumt. Nur einmal — es war in einer unruhigen Nacht — sie hatte ein leises Erkältungssieber nach Hause gebracht -- da träumte sie, es bräche ein Mann in ihre Kammer ein, um ihre Ersparnisse — ihren „Schatz," wie sie sagte — zu stehlen. Und mit einem Angstschrei fuhr sie in die Höhe; noch am nächsten Morgen zitterte sie, als sie den Traum ihrer Freundin erzählte. Groschen für Groschen hatte sie ihren „Schatz" im Laufe der Jahre zusammengespart und ihn bis auf einige tausend Mark gebracht. Sic kannte nur eine Leidenschaft: diesen ihren Schatz zu vermehren.
Eines Abends war Fräulein Dorothea Töpfer ausgebeteu. Sie führte die Wirtschaft bei einem alten Rechnungsrat, der eine dritte Etage in der Genthiner Straße inne hatte. Unten in demselben Hause wohnte auf dem Hofe der Schuhmacher Ahrend, dessen Frau ihre beste Freundin war. Heute hatte Frau Ahrend sie eingeladen, ihren Geburtstag mitzufeiern. Es gab da kalten Aufschnitt, besonders viel brenzlich schmeckende Rauchwurst, für jeden Gast ein Pärchen dampfender „Knob- lünder" und als Hauptstück des Abends eine Terrine Glühwein und eine Schüssel selbstgebackener Krapfen.
Fräulein Dorothea hatte jedesmal, wenn sie ihren Dienst wechselte, eine neue „beste Freundin" — zugleich ihre einzige.