die nähere Bekanntschaft zu Fontane war noch frisch, nahm Kugler erneuten Anlauf, um dieser Seite seiner Fähigkeiten und Neigungen ernsthaft nachzugehen. Er sammelte seine verstreuten Gedichte und Lieder, schrieb in rascher Folge dramatische Texte4 und engagierte sich in den literarischen Vereinigungen des Tunnels, des Rütli und der Ellora. Die Poesie war eine seiner Leidenschaften, so daß es nicht wundert, daß er die Berufung zum Dichter empfand und das Nachdenken über Poetentum in seinen Briefaustausch mit Fontane direkt einbezog. Beinahe in jedem Brief lassen sich Spuren finden, die gerade dieses Thema berühren.
1858 starb Kugler, fünfzigjährig — ein Tod, der die Freunde tief traf. Eggers', Fontanes und Merckels Reaktionen sprechen in ihrer Betroffenheit für sich’ 1 , wenngleich an diesem Ereignis auch deutlich wird, wie kompliziert die jeweiligen Beziehungen zueinander waren. Als man ihn zu Grabe trug, ehrte man kaum den Dichter Kugler, sondern den Mann, dessen Kunstverstand Geltung besah und dessen „frohes, lehrreiches, edel gastfreies, gemütlich reiches Privatleben gerühmt" 11 werden konnte. Selbst im Nachruf des Tunnels, aus der Feder Merckels, blieben der Poesie Kuglers nur wenige Zeilen.
Für Fontane waren die acht Jahre nicht weniger biografieprägend: in ihnen suchte er eine schriftstellerische Existenz zu begründen, die mit den eigenen Neigungen und Fähigkeiten ebenso im Einklang stehen sollte wie mit dem Gang der Ereignisse in Preußen. Peter Wruck hat den Spielraum, der Fontane dabei gewährt wurde, beschrieben und daraus den literarischen Werdegang des Dichters in den fünfziger, sechziger und Anfang siebziger Jahren neu beurteilt'. Deutlich wird, daß Fontane im Vorfeld der Entscheidung, sich und seine Familie mit der Feder zu ernähren, das Terrain sichtete: zuerst als Mitarbeiter in dem von Merckel kurze Zeit geleiteten Literarischen Cabinet, dann in dessen Nachfolgeeinrichtung, der Central-Preßstelle, und seit 1855 in London, wo er eine „Deutsch-englische Korrespondenz" aufbauen sollte. Politische Journalistik (im Dienst der preußischen Regierung) und das moderne Feuilleton verdrängten den Vers und beherrschten sein Schreiben. Seine Befindlichkeit pendelte zwischen der Klage über das Verkennen seiner tatsächlichen poetischen Fähigkeiten und einem wachsenden Selbstbewußtsein hinsichtlich der Qualität seiner Artikel.
Die räumliche Entfernung voneinander störte die Beziehung zwischen Kugler und Fontane kaum — sie scheint sogar der Vertraulichkeit und der gegenseitigen Öffnung förderlich gewesen zu sein. Eine Ursache der Annäherung wurzelte in der Resignation über das gewünschte, aber kaum realisierte Poetentum (vgl. Kuglers Brief vom 21. 1. 1856). Während Kugler seine durch romantische Erfahrungen geprägte Vorstellung vom Poetischen modifizierte und sie ummünzte in den Gedanken einer großangelegten kunst- und menschheitsgeschichtlichen Totalität — die in ihrer Monumentalität sogar Jacob Burckhardt faszinierte und ihn Abstand von der erwarteten Weiterführung des Kuglerschen Werkes nehmen ließ —, näherte sich Fontane einem Verständnis vom Poeten und dessen Poesie, das durch vaterländische Bestimmungen konturiert war. Der Ratschlag von Franz. Kugler (geäußert im Brief vom 23. 7. 1857), „die Poesie zu nützlichen Dingen" zu verwenden, verhallte nicht ungehört und unbedacht. Als Merckel und Fontane den Freundeskreis nach Kuglers Tod durchgingen, um am Ende die Chancen einer Weiterführung des Rütli zu prüfen, galt Fontane, wie das Beispiel Bernhard von Lepel zeigt, dieser Tatbestand als akzeptiertes Maß: „Ich verlange kein Steinkarren von ihm (Lepel — R. B.), nein, als Poet könnte und sollte er sich nützlich machen. Er müßte nur Umschau im Leben halten, sich befragen, wo eine
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