Heft 
(1989) 47
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Franz Theodor Kugler an Theodor Fontane Briefe aus den Jahren 1850 bis 1858.

Brieftexte (Anmerkungen und Kommentare geschlossen am Ende)

Nr. 1

Dem ehrenhaften Poeten von Gottes Gnaden Lafontaine

meinen Gruß zuvor!

Der Anakreon hat mir gesagt, Ihr, mein lieber Poet, hättet es mir sehr übel genommen, daß ich in meiner Nachschrift zu Eurem letzten Protokoll mit schein­barer Schnödigkeit gesagt:Ihr solltet doch, wie man sagt, ein Poet sein." So Ihr vermeint habt, mein lieber Poet, ich hätte damit sagen wollen, Ihr seiet keiner, oder ich hätte damit Euer poetisches Recht, Ehre und Würdigkeit nur um ein Haar antasten wollen, so erkläre ich hiemit Euch und Allen, welche jetzt und in Zu­kunft dieses Sendschreiben lesen, daß mir Solches auch nicht von Ferne in den Sinn gekommen. Die Worte waren durchaus nur scherzhaft gemeint, sintemal der Verfasser des Protokolls als solcher meo voto, dem Recensenten näher stand, denn dem Poeten, also der Blick auf diesen gewissermaßen verdunkelt war. Ich bin aber der lebhafteste Verehrer des Poeten, der in Euch steckt, mein lieber Poet; ich habe weder daran je gezweifelt, noch habe ich meine Ueberzeugung lügnerisch verdunkeln und Euch mit der Lüge kränken wollen. Es ist also kein animus injuriandi vorhanden, und somit auch keine Beleidigung, und somit auch kein Grund, Euch um Verzeihung zu bitten; wohl aber bekenne ich, daß es mir so­gleich leid thut. Euch unabsichtlich weh gethan zu haben.

Letzteres ist aber eigentlich doch nur eine gerechte Schicksalsstrafe. Der Anakreon sagt, Ihr hättet das Protokoll überhaupt nicht so gemeint gehabt, wie ich es aufgefaßt. Ich habe mich danach ebenso durch Mißverstand dessen, was Ihr geschrieben, verletzt gefühlt, wie Ihr durch Mißverstand der Meinigen, also daß wir quitt sind. Und wenn Ihr sagt, Poete, Ihr seiet doch viel gröblicher verletzt worden als ich, da ich Eure Person, Ihr aber nur mein Stück anzutasten geschie­nen, so erwidere ich Euch darauf: daß das von mir Geschriebene, im richtigen Tone ausgesprochen, den humoristischen Sinn geben mußte, bei dem von Euch geschriebenen aber durch keine Betonung die andere Beschaffenheit der von Euch ausgesprochenen, nicht zu Recht bestehende Thatsache (der angeblichen Schlußpointe meines Stückes) heraus kommen konnte. Also laßt es nur gut sein, lieber Poet.

Anmerken muß ich es übrigens doch, daß ich eine ganz ernsthafte allgemeine Absicht bei der Nachschrift hatte, und daß dies vielleicht der Grund ist, weßhalb letztere etwas herber klingen mag, als es in meiner Absicht gelegen. Verschiedene ehrenwerthe Tunnelianer hatten sich nemlich privatim gegen mich mißfälligst über die Art und Weise ausgesprochen, wie nach dem Vorlesen von großen und kleinen Spänen dort über dieselben abgeurtheilt werde. Sie hatten geäußert, sie würden im Tunnel theils gar nichts, theils dies und das Besondre, was solches Urtheil nicht vertrage, nicht mehr vorlesen. Ich hatte dagegen Sitte und Recht des Tunnels, in dem ich mich durchaus wohl und behaglich fühle, mit Hand und Mund vertheidigt. Nun schien mir Euer Protokoll doch, und gar schriftlich, in einer Weise zu verfahren (nicht durch Urtheil, sondern durch irrthümliche An­gabe von Thatsachen und was auf diese fußte), daß jene Kläger halbwege Recht bekommen. Und darüber nun, daß meine Vertheidigung der Tunnelsitte ein Loch

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