Heft 
(1989) 47
Seite
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Nr. 2

Verehrtester!

Ich habe gestern im Tunnel gegen einen Hauptpunkt Ihrer Wangeline etwas scharf opponirt, nemlich dagegen, daß Sie sie auf ihrem Gange zum Kurprinzen durch einen Dämon zurückhalten lassen. So, wie Sie dies Factum geben, ist es eine bloß äußerliche Gewalt, was diese Dame fesselt; daß dafür der Fluch über sie gesprochen wird, hat kein gegenseitig bedingtes Verhältniß; die Dame erscheint gerade im Punkte der Versäumniß des ihr Aufgetragenen unschuldig, wie viel Schuld sie auch sonst haben mag. Sie fanden im Tunnel zwar sehr eifrige Vertheidiger (am Sublimsten [!] in der Person von Freund Metastasio), die den Dämon gewissermaßen zur Personification von Wangelines Schuldbewußtsein machten, was mir wie man das Ding auch drehe und wende, nicht recht ein­leuchten will: das, was der W. aufgetragen war, ist äußerst simpel; sie mußte, wenn sie nicht ein ganz einfacher Racker war, den Corridor hinauffliegen, das entsetzliche Unglück zu verhüten; sie konnte daran nur (falls nicht eine für das Gedicht unbrauchbare Gewalt eintrat) durch positiven Rausch positiver Leiden­schaft verhindert werden, sodaß meines Erachtens die eigentliche Fassung der Legende, die statt des Dämons den Marwitz selbst erscheinen läßt, durchaus im Rechte ist. Aber es ist mir eine Wendung eingefallen, die doch vielleicht eine Verbindung der letzteren mit Ihrer Gefühls-Intention (denn ich glaube, daß sie bei dem Dämon viel mehr durch das Gefühl als durch den Gedanken geleitet wird) möglich macht: die Wangeline, und der Leser und Hörer mit ihr, muß glauben, daß es wirklich der Marwitz ist, dem sie im Rausch der Leidenschaft in die Arme sinckt, und dann, als die Zeit zur Verhütung des Verbrechens vorüber ist, demaskirt er sich als Dämon (zu deutsch: als Teufel, den sie doch schon durch ihre unsittliche Leidenschaft herauf beschworen hatte).

Ich weiß nicht, ob Ihnen diese flüchtigst hingeworfenen Andeutungen klar sind und ob Sie darauf eingehen mögen.

Uebrigens bemerkte Claudius gestern, daß das Gedicht nicht druckfähig sei und ich der ich, wie es scheint, den letzten Censor zu einer Unwahrheit zu machen bestimmt bin glaube leider, daß er recht hat. Der von der Kurfürstin verübte Giftmord ist durchaus unerwiesen (und auch ich habe mich, bei historischer Dar­stellung jener Verhältnisse, auf die Seite derjenigen gestellt, die daran mit Ueber- zeugung nicht glauben). Die Kurfürstin aber ist eine directe Ahnherrin unseres königl. Hauses, eine vor noch lange nicht 200 Jahren verstorbene Frau, und einer solchen als nacktes Factum in wie schöner poetischer Darstellung immerhin einen Mord zuzuschreiben, möchte mehr als bedenklich sein. Ein ganz Andres ist es, wenn man referirt, was das Volk damals sagte, was sich als Legende erhalten hat: Ihr Gedicht gibt dies nicht mittel-, sondern unmittelbar. Wäre es etwa thunlich und räthlich, die Namen zu verändern oder wegzulassen?

Dies Alles einstweilen übrigens zur geneigten Erwägung! MeinOpfer" harrt des Frühlings und der Spaziergänge, um zur erwünschten Fassung einiger Stellen zu gelangen. Tiefer greifende Aenderungen, auch wie wir neulich dergleichen be­sprachen, schienen mir unausführbar, da sie sofort den Organismus des Ganzen, wie dies einmal ist, angreifen. Wir werden künftig sehen, ob es courfähig, aus­stellungsfähig, druckfähig pp. sein wird.

Der Ihrige

F. Kugler

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21/3./18/53