Als weitere wichtige Aufgabe stand uns bevor, festzustellen — soweit dies möglich war —, welche Briefbestände durch Kriegseinwirkung verlorengegangen und welche als verschollen, aber nicht unbedingt als verloren anzusehen sind.
Durch Kriegseinwirkung (Bomben und Brand) wurde in Berlin die Sammlung Richard von Kehlers vernichtet, die er 1936 in einem Privatdruck vorgelegt hat. Wir wissen leider nicht, ob er seit 1936 weitere Briefe und Manuskripte erworben hatte. Ebenfalls durch Kriegseinwirkung vernichtet wurde die Leipziger Sammlung von Gerhard Schulze, der ein großer Sammler war. Einiges davon ist 1934 und 1939 von Conrad Höfer veröffentlicht worden, aber auch hier ist uns leider nicht bekannt, was Gerhard Schulze noch an anderen Schätzen besaß. Er hat auf der Auktion von Hellmut Meyer & Ernst 1933 viel gekauft, auch Briefe an Fontane (z. B. von Wilhelm Hertz). In Leipzig gingen auch die Briefe Fontanes an den Verleger Wilhelm Friedrich verloren, aber deren Abschriften sind im Theo- dor-Fontane-Archiv bewahrt und von Manfred Hellge in den Fontane-Blättern veröffentlicht worden. Leipzigs Verluste scheinen besonders groß zu sein, denn auch das von Karl Lamprecht gegründete Institut für Kultur- und Universalgeschichte ist im letzten Kriegsjahr durch Bomben zerstört worden und die dort befindlichen Briefe Fontanes (vgl. Frels 1934) müssen als verloren gelten. In Lübeck ist in der Stadtbibliothek der Briefnachlaß Emanuel Geibels vernichtet worden. Dort befanden sich vier Briefe Fontanes. In Berlin ist 1945 das Archiv der Firma Rudolf von Decker völlig zerstört worden, und die zahlreichen Briefe Fontanes an den Verlag müssen als verloren gelten. Viele von ihnen sind in Früheditionen gedruckt, und das Fontane-Archiv in Potsdam besitzt zahlreiche Abschriften. Es war wichtig, einmal festzustellen, welche in früheren Bibliographien, z. B. in der von Frels, verzeichneten Briefe wir leider nicht mehr zu suchen brauchen.
Was im Krieg an kleinerem oder größerem Privatbesitz weiter verlorenging, ist schwer festzustellen. Einen Anhalt geben uns die Auktionskataloge. Was vor dem Krieg angeboten wurde und dann nicht wieder in Umlauf kam, könnte verlorengegangen sein. Aber das sind keine Gewißheiten. — Es war leider nicht möglich, alle Auktionskataloge zu datieren. Die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, die mit der Bearbeitung von Auktionskatalogen beschäftigt ist, hat uns zum Teil wenigstens dabei helfen können.
Auch was durch die Emigration wahrscheinlich recht vieler Autographensammler verlorenging, ist schwer abzuschätzen. Doch ist wohl einiges erhalten geblieben und in öffentliche Institute gelangt, vor allem in den USA. Wir können sogar hoffen, daß sich im Laufe der Jahre noch mehr anfinden wird. Der Fund von Fontanes Briefen an Ludwig Pietsch, jetzt in der Johns Hopkins University, Baltimore, USA, war eine schöne Überraschung. Dorthin ist auch die große Hand- schriftensammlung des Germanisten Wilhelm Kurrelmeyer gelangt, in der sich ein Brief Fontanes an den Verleger Hermann Costenoble befindet. An anderer Stelle in den USA tauchten zwei Briefe an Gerson von Bleichröder auf. Was aber geschieht mit solchen Briefen, wenn die Nachkommen dieser Sammler nichts von Fontane wissen? Ich machte die Bekanntschaft eines früheren Mitglieds des Berliner Bibliophilen-Abends, der sich in Brasilien niedergelassen hatte, mit einer Französin verheiratet war und bei seinem Tod einen nur portugiesisch sprechenden jungen Sohn hinterließ. Er hatte einige Fontane-Schätze und gab mir Abschriften von Briefen. Leider starb er sehr plötzlich.Die Originale scheinen bisher nicht auf den deutschen Auktionsmarkt gekommen zu sein. Als verschollen müssen 128 Briefe und Postkarten der Lessing-Sammlung der ursprünglichen
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