Heft 
(1989) 47
Seite
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Von dieser Reise brachte ich mir vier Bände der autobiographischen Schriften des hier besprochenen Autors mit, die in neuer Bearbeitung 1982 im Aufbau- Verlag erschienen sind. Auch einige Nummern der ZeitschriftFontane-Blätter" brachte ich mir mit. Sie werden vom Fontane-Archiv halbjährlich herausgegeben und verzeichnen exakt alle bedeutenden Neuerscheinungen über Fontane.

Auch weil ich erst kürzlich eine fünfbändige Fontane-Ausgabe aus dem Jahre 1986 erhalten hatte, dachte ich, gut daran zu tun, unsere Leser an einen Schriftsteller zu erinnern, dessen 90. Todestag im Herbst dieses Jahres begangen wird.

Theodor Fontane lebte lange: am 30. Dezember 1819 geboren, starb er am 20. September 1898, und sein Romanschaffen begann sehr spät. Literaturhistoriker schreiben, daß er neben Marie von Ebner-Eschenbach zu jenen Autoren gehört, die erst im Alter von 70 Jahren ihre besten Werke schrieben, die bei Kritik und Publikum Anerkennung fanden. Lange Jahre war er als Publizist tätig, und seine ersten lyrischen Balladen (nach dem Muster englischer Balladen) ließ er erst veröffentlichen, als er schon beinahe 50 Jahre alt war. Journalist war er wider Willen, aber er hatte diesen Dienst gewählt, um sich und seine Familie ernähren zu können. Im Alter sagte er nicht ohne Bitterkeit:Man haßt Schriftsteller, die sich mit Journalistik abgeben, oder man verachtet sie." Aber die Publizistik erwies sich als gute Schule für den künftigen Romanschriftsteller.

ln seinem Falle bewahrheitete sich der berühmte Ausspruch von Emile Zola nicht, wonachdie Publizistik der Friedhof der Talente" ist. Aus der Publizistik gewann Fontane die Liebe zum Konkreten, die in seinem späteren Schaffen so reiche Früchte tragen sollte. Aber auch seine Berichte aus England und Schottland, seine mehrbändige ReportagensammlungWanderungen durch die Mark Bran­denburg" und seine Theaterrezensionen sind keine Randerscheinungen. Er war es, Fontane, der auf den jungen Gerhart Hauptmann aufmerksam machte und die Uraufführung seines ersten StückesVor Sonnenaufgang" positiv beurteilte. Als Rezensent war er überhaupt ein Fürsprecher neuer Richtungen in der Kunst, obwohl er sich selbst zu den Realisten zählte, und die Kritiker halten ihn für denGeburtshelfer des deutschen Gesellschaftsromans". Schließlich war Fcntane ein vorzüglicher Briefschreiber. Sein epistolographisches Erbe umfaßt mehrere umfangreiche Bände und stellt eine wertvolle Quelle für die Kenntnis seiner Epoche dar.

Doch dieser fruchtbare Journalist und spätere Autor hervorragender Romane erlebte auch viele Mißerfolge und Rückschläge. 1874 bekannte er in einem Brief an Mathilde von Rohr: .... ich bin unsagbar menschenmüde und müde des Strebens, das zu nichts führt. Könnt' ich, ich zöge mich morgen zurück. Ich komme mir mit meinen Schreibereien vor wie ein Clown im Circus." Er war jedoch ein starker Mensch, und nach Zeiten der Niederlagen und des mangelnden Selbst­vertrauens kam wieder eine Zeit aktiven schöpferischen Schaffens.

Theodor Fontane war kein Meister des Monologs; seine Romane sind auf Dia­logen aufgebaut, in denen sich seine wahre schriftstellerische Kraft offenbart. Er war auch kein Verfechter von Pathos und gehobenem literarischen Stil. Voller Ironie sagte er:Was heißt großer Stil? Großer Stil heißt vorbeigehn an allem, was die Menschen eigentlich interessiert." Deshalb sind seine Romane, die von den Konventionen ihrer Epoche relativ unabhängig sind, bis heute lebendig geblieben, und sie werden neu aufgelegt und von neuen Generationen von Lesern gelesen. Ohne Zweifel ist das größte Meisterwerk seiner Prosa der Roman Effi Briest" (1895), der von Izabella Czermakowa gut ins Polnische übertragen

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