Heft 
(1989) 47
Seite
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Mach Platz, Rollo! Wir bleiben eine Weile sitzen auf der Gartenbank.

Du hast dich immer nach oben gerichtet, Instetten. Wenn Bismarck pfiff, war Instetten zur Stelle. Das kannte ich nicht von Hohen-Cremmen. Mein Vater hatte bei allem doch etwas Freies, nicht das Beamtische. Er wollte nicht höher hinaus und mußte darum auch keine Angst haben, daß er stürzen könnte.

Ich bin eine sehnsüchtige Natur. Ich hatte soviel Zeit zum Träumen und zum Mich-Sehnen, und du hattest dein Tun und sehntest dich nach nichts, du wolltest alles erreichen. Eigentlich war ich doch erst in der Knospe, aber von Blumen hast du nichts verstanden und von Frauen auch nicht viel. Du hast mich nicht zum Blühen gebracht. Ich bin, halbaufgeblüht, verwelkt. Ich war dein liebes Spielzeug, das hast du selber gesagt, und so ein Spielzeug holt man hervor, zeigt es, spielt damit und legt es zurück in die Schublade. Ich hatte Alleinsein nicht gelernt zu Hause. Hier in Hohen-Cremmen hatte ich außer den Eltern noch meine Freundinnen und den Garten und die Schaukel und die Heckenwege. Bei dir in Kessin gab es nur die paar Zerstreuungen und das, was du ,die stillen Tage' nanntest. Und dann die Abende, wenn du die Lampe nahmst und sagtest, ich habe noch zu tun. Wenn du merktest, daß ich betrübt war, bist du umgekehrt, hast die Lampe auf den Flügel gestellt und gesagt: Spiel etwas. Effi! Und ich stand gehorsam auf und spielte etwas, aus .Lohengrin' oder sogar aus der .Wal­küre'. Wagner paßte doch überhaupt nicht nach Hinterpommern! Irgendwer wird gesagt haben, mein lieber Baron von Instetten, Chopin ist passé, Wagner ist dran! Du hattest deine Karriere im Sinn und wolltest mich zu deiner Wahlhelferin machen. Ich wollte auch hoch hinaus, aber mehr wie beim Schaukeln, nicht so mit Bücken und Untertänigsein. Am Anfang habe ich dir manchmal gesagt, was ich dachte und fühlte, eine Briest, das ist auch was! Aber solche Gespräche führten leicht zu Verstimmungen. Als ich mal gesagt habe, ich hätte dich aus Ehrgeiz geheiratet, hast du's spaßhaft genommen, und das war es ja auch und stimmte letztlich doch wieder. Aber ich hatte Ehrgeiz für dich und nicht für mich. Das haben alle Frauen.

Und dann was du so Zärtlichkeiten nanntest! Jetzt habe ich vor Augen, wie du abwehrend die Hand hebst und sagst: Aber Effi! Da mußte es dunkel sein, damit ich dein Gesicht nicht sehen sollte, als ob wir etwas Verbotenes täten. Du be­stimmtest, wann es Zeit für Zärtlichkeiten war, und wenn ich mal die Hand nach dir ausstreckte, dann gabst du mir einen Kuß auf den Handrücken und legtest meine Hand wieder auf die Bettdecke zurück, und ich wußte Bescheid, für heute nichts weiter, meine liebe Effi! Eigentlich habe ich mich vor deinen Zärtlichkeiten immer gefürchtet, da war auch Gewalt dabei und auch Pflicht. Du wolltest ein vorbildlicher Ehemann und Vater sein und nicht nur der Erzeuger unserer kleinen Tochter Annie. Und deshalb mußte ich ins Bad fahren und Brunnen trinken. Aber daran lag es nicht. Es war das Planmäßige. Ich war mehr fürs Heimliche, für die Dünen. Es muß doch auch Leidenschaft dabei sein, und man muß schwindlig werden, und die Erde muß sich drehen, und es muß sein wie auf der Schaukel, man fliegt, und der Strick reißt. Ach, Instetten! Wir hätten miteinander reden sollen. Statt dessen rede ich jetzt mit Rollo. Wenn ich mal was zu dir sagte, hast du mir aufmerksam zugehört und mir auch zuge­stimmt, und am Ende hast du doch wieder gesagt: Am besten, es bleibt alles beim alten. Der Satz fällt mir immer ein, wenn ich in Gedanken mit dir rede. In der letzten Zeit rede ich viel mit dir, wenn ich hier in Hohen-Cremmen bei der Sonnenuhr sitze, und der Hund liegt neben mir und knurrt, wenn er träumt.

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