Als Annie mich nach der Scheidung in Berlin zum erstenmal in der Königgrätzer- straße besuchen durfte, da hätte ich, so wie ich war, zu dir laufen sollen. Nicht in die Wohnung! In dein Ministerium! Ich hätte nicht in meinem Zimmer auf die Knie fallen und beten sollen. Da war nicht Gott dran, da warst du dran! Du hattest das Kind abgerichtet wie einen Papagei. Wenn ich darf? Wenn ich darf? Du konntest mich nicht abweisen lassen, das hätte Aufsehen erregt. Du wärst ans Fenster getreten und hättest mir den Rücken zugewandt. Aber angehört hättest du mich und immer mal die rechte Hand gehoben, was heißen sollte: Aber Effi!
Meine Angst war größer als mein Zorn. Zorn macht stark, Angst macht schwach. Ich sank in mich zusammen. Seit damals werde ich immer schwächer. Berlin war nicht groß genug für uns drei. Ich wollte dir nicht zufällig begegnen, und ich wollte auch nicht auf dem Trottoir stehen, wenn du in der Kutsche vobeifuhrst und die Leute sagten, das ist der Minister von Instetten, denn Minister wirst du ja wohl bald werden. Und ich wollte auch nicht Annie auf dem Schulweg auflauern, um sie sehen zu können. Das war dann meine Rettung, als die Eltern ein Einsehen hatten und mich nach Hohen-Cremmen holten. Als du mich geheiratet hast, warst du doppelt so alt wie ich, und jetzt bist dü noch immer ein Mann in den besten Jahren. Aber ich bin eine alte junge Frau. Das Kind wird später das Hohen-Cremmen der Briest erben, oder läßt du nicht zu, daß Annie ihre verstoßene Mutter beerbt? Doch was soll sie mit Heckenwegen, einer Schaukel und einer Sonnenuhr? Es ist viel Zeit vergangen.
Ich klage dich nicht an, Instetten, du bist, wie du bist. Aber klagen werde ich doch dürfen. Ihr habt mich alle geliebt, weil ich war, wie ich war und wie ich jetzt nicht mehr bin. Und dich hat man geachtet, weil du bist, wie du bist. Und was ist denn nun besser, lange Jahre geachtet oder kurze Zeit geliebt zu werden? Vater würde da wieder sagen, ,das ist ein zu weites Feld'. Das weite Feld! Ich wußte nicht, daß es Mauern und Zäune gibt, über die man nicht hinwegspringen kann. Hindernisreiten habe ich nicht gelernt.
Jetzt legt er mir wieder seine dicke Pfote aufs Knie. Meinst du, Rollo, daß wir unseren Spaziergang machen sollten, damit alles immer so weitergeht und seine Ordnung hat? Die Wege immer kürzer, die Ruhepausen länger?
Ja, Instetten! Jemand, der Grundsätze hat, der ist im Vorteil, und mehr will ich dazu nicht sagen. Du hast keine Liebe in dir, und dafür kannst du nichts und deshalb hast du vielleicht doch keine Schuld. Du hast gesagt, Festigkeit wäre nicht meine Spezialität. Du hast immer nur gesagt, was ich nicht war und was ich nicht hatte. Das ist wie mit den Zehn Geboten. ,Du sollst nicht!' Aber mir muß man sagen, was ich soll! Du hattest dich in das halbe Kind, das ich noch war, verliebt, weil du in jungen Jahren meine Mutter liebtest. Eigentlich hast du doch meine Mutter gemeint, und die hätte auch besser zu dir gepaßt, das denkt Vater auch. Alle haben es gewußt, nur ich nicht. Und die andere Hälfte des halben Kindes wolltest du dir erziehen.
Jetzt müssen wir endlich auch von Crampas reden, Instetten! Crampas ließ mich so, wie ich war, der wollte nichts, und ich wollte auch nichts. Man fliegt und verliert den Boden unter den Füßen, man denkt, gleich reißt das Seil, und dann reißt es doch nicht, und man steht wieder auf den Füßen, aber man ist danach nicht mehr dieselbe. Von Major Crampas hieß es in Kessin, er sei ein Damenmann. Er nahm die Frauen ernst oder wenigstens doch so ernst wie seinen Dienst und überhaupt die Welt. Ganz ernst war ihm nichts. Ich habe doch .nein' gesagt!
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