Heft 
(1989) 47
Seite
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für das Kind eine bessere Mutter wäre. Aber wenn es an keiner Stelle gut aus­geht, Instetten, das meine ich: Crampas tot, du mit deiner Pflicht, das Kind brav in der Schule und ich hier mit dem alten Rollo, der schläft, wenn ich rede, und nur den Kopf hebt, wenn ich seinen Namen nenne.

Ja, Rollo, guter alter Hund, schlaf weiter.

Als du mich fristlos entlassen hast und ich nicht nach Hohen-Cremmen zurück­kehren durfte und auch noch eine geschiedene Briest wurde zu der geschiedenen Instetten und in der Königgrätzerstraße der Tag hinging mit Sticken und Patience Legen und Chopin spielen! Und keiner sagte: .Spiel mir was auf dem Klavier, Effi!' Da hätte ich sogar was aus der .Walküre' gespielt! Und immer nur Roswitha zum Teetrinken und ihre schaurigen Geschichten. Wenn ich hätte arbeiten können, wenn ich was gelernt hätte, aber auch eine geschiedene Frau Baronin durfte sich ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen, und die Eltern sorgten ja auch, so gut sie konnten.

Ein richtiges Schicksal war es doch gar nicht! Eine Anna Karenina, von ihr sprach man in Bad Ems, aber keine der Damen hatte den Roman wirklich gelesen, man munkelte nur. Ich hatte ja nur am Schicksal genascht! Wenn ich mich prüfe, dann fühle ich weniger Schuld in mir als Scham, wie ein Kind sich schämt, weil es etwas Verbotenes getan hat und dabei ertappt wird. Und du hast mich ja auch bestraft, wie man ein Kind bestraft. Stell dich in die Ecke, schweig still! Ros­witha, die hatte ihr Schicksal! Als ihr das ledige Kind gestorben und ihr Vater mit der Eisenstange auf sie losgegangen war und sie nicht aus noch ein wußte, da hatte sie ins Wasser gehen wollen, und so habe ich sie gefunden. Sie hat immer für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen, aber bei mir hat sie es doch eher gut getroffen. Mit dem ihrigen verglichen, war mein Schicksal eher zu klein. Richtige Not, da wäre ich vielleicht daran gewachsen und gereift, aber nur Verlassensein und die viele Zeit und niemand, der mich braucht, und die Eltern würden doch auch friedlicher ohne mich leben. Es ist nicht leicht, die Eltern einer Effi Briest zu sein.

Du hast über mich gerichtet. Aber du bist nicht Gottvater, sondern nur der Baron Instetten. Vor Gott habe ich mich immer weniger gefürchtet als vor dir. Und dann denke ich ja auch: Alles wiederholt sich. Frühling im Tiergarten. Ob nun fünfzigmal Unter den Linden oder fünfhundertmal. Und alle paar Jahre ein neuer Muff, damit ich bei Laune bleibe.

Ich hab's doch mal gehabt, den Glanz, meine ich, und so an deinem Arm durch den Saal, und mein Rock rauschte beim Gehen, und die Leute flüsterten: Was für ein schönes Paar! Ich gerate vom Hundertsten ins Tausendste, das kommt von dem Wirren in mir und dem Dunklen. Ja, das Dunkle war doch auch in mir, davon habt ihr nichts geahnt. Gieshübler in Kessin vielleicht und der Geheimrat Rummschüttel in Berlin, aber die hatten dann auch nur ein Pulver für mich zur Beruhigung.

Es geht und vergeht alles so schnell. Eben noch habe ich hier auf der Schaukel gesessen und dann schon an der Wiege in Kessin, und jetzt sitze ich wieder hier und betrachte die Schaukel. Das hat die Natur falsch eingerichtet, mit siebzehn schon Mutter. Aber gegen die Natur darf man sich nicht auflehnen. Mein Körper konnte schon ein Kind empfangen und austragen, aber meine Seele konnte es noch nicht. Manchmal denke ich, wenn wieder ein Sommer vorüber ist, ich bin so ein Blatt, das der Wind schon im August abgerissen hat und das in einen Bach gefallen ist, und dann hat es mich fortgetrieben, erst in einen Fluß und dann in einen Strom, und jetzt treibe ich auf das große Meer zu. Aber das sind keine

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