Themen für dich, Instetten, Blätter im Wind, Sichtreibenlassen im Strom. Aber ich bin dann doch oben geblieben. Ich bin nicht untergegangen, und darauf bin ich nun auch ein wenig stolz. Und das Meer und der Himmel, oder wo wir hinkommen oder untergehen, das ist am Ende eins und liegt bei Gott.
Ich bin jetzt ganz ruhig, Instetten. Für dich wird es besser sein, wenn du nicht mehr ein geschiedener Mann bist, sondern sagen kannst, meine Frau ist gestorben. Dann kannst du vielleicht meinen Namen wieder aussprechen und später sogar einmal denken: Meine liebe Effi!
Gleich wird Mutter mit dem Plaid kommen und sagen: .Aber Effi, du wirst dich verkühlen', und mir das Tuch um die Schultern legen, und sie wird mich nicht streicheln, und ich werde sie nicht streicheln, nur danke sagen und lächeln und ihre Hand einen Augenblick festhalten.
Männer männlich und Weiber weiblich — das ist auch so ein richtiger Briest- Spruch. Aber dann gibt es doch auch noch die Töchter! Ich bin die Effi Briest aus Hohen-Cremmen geblieben. Ihr habt mich immer für etwas bewundert, was doch nicht mein Verdienst war. Jung sein und hübsch sein und Anmut, das ist doch noch nichts, und geleistet hatte ich auch nichts. Ein Kind haben, das kann jede Frau, und aufgezogen würde es doch von Johanna und später von Roswitha. Ich habe lauter Nebenrollen gespielt und meine Hauptrolle nicht bekommen. Eine geschiedene Baronin Instetten und eine geschiedene Briest.
Jetzt streichle ich Rollos Fell, das grau und auch schon grindig wird, und manchmal streiche ich über den Seidenstoff, der sich über meine Schenkel spannt. Eigentlich bin ich doch eine zärtliche Natur. Mutter ist eher eine kühle Natur, und Vater halt sich alles vom Leib, auch mich. Er läßt die Kornähren durch die Finger gleiten, klopft dem Pferd auf die Kruppe. Als ich noch klein war, hat er mich manchmal bei den Haaren gepackt und gezaust, wie er es auch bei seinen Hühnerhunden tat, wenn sie ihm ein Rebhuhn vor die Füße legten, und ich habe ihm dann meine Puppe vor die Füße gelegt. Und wenn Mutter mir die Schleife geradezog und mich ermahnte, nicht so wild zu sein, dann war das ihre Art von Zärtlichkeit. Warum habe ich mein Kind nicht mit meinen eigenen Händen gewaschen und gewindelt? Alles konnten die Dienstmädchen besser als ich, und ich hab auch immer gedacht, es könne dem Kind etwas passieren, wenn ich es an mich drückte und küßte, wie ich's mit meinen Puppen getan hatte. Und später habe ich ihr auch die Schleife geradegezogen.
Wir leben alle so weit entfernt voneinander. Die Zwischenräume sind so groß. Gieshübler versuchte, sie zu überbrücken, mit einem Strauß oder einem Billett im richtigen Augenblick. Wäre ich zu ihm in die Apotheke gegangen, da hätte ja niemand etwas sagen können, da war ja keine Gefahr bei jemandem, der ein halber Krüppel war. Er hat mich gern gehabt und ich ihn auch. Wenn ich gesagt hätte, ich muß mit jemandem reden und nicht plaudern, und er gesehen hätte, daß ich verzweifelt war. Aber dann wäre er verlegen geworden und hätte mir doch wieder nur ein Pulver geholt. Geahnt hat er viel. Einmal hat er mir ein kleines Buch geschickt. Für die romantische Effi von Instetten. Ein Verehrer mehr', stand darunter. Gedichte von Eichendorff. Crampas zitierte Verse von Heinrich Heine, und da wußte man nie, ob man lachen oder die Augen niederschlagen sollte. Ich saß oft mit dem Buch auf dem Schoß da, las ein paar Zeilen, und dann versetzte mir ein Wort einen Stoß, und ich vergaß das Buch und träumte wieder. Damals habe ich die Gedichte beiseite gelegt, aber neulich habe ich sie wieder hervorgeholt und habe einen Federstrich am Rande einer Seite gefunden, und diese Zeilen lese ich nun wieder und wieder und summe sie vor mich hin:
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