des tradierten Literaturbegriffs verweist zumindest auf ein fragwürdiges Konzept. Hohendahl unterstreicht den Anspruch, in der Aufdeckung der Aporien verschiedener literaturwissenschaftlicher Modelle auch deren Vereinseitigungen aufzubrechen. Dabei hebt sich jedoch der sozio-kulturelle Aspekt so stark vom eigentlichen Gegenstand ab, daß ein synthetisches Herangehen a priori schwierig wird. Bieten die einzelnen Kapitel ausgesprochen interessante und lesenswerte Studien zu Teilaspekten der kulturellen Entwicklung in Deutschland zwischen 1830 und 1870 — diese Periodisierung unter dem Terminus Liberalismus müßte auch im Zusammenhang mit literarischer (!) Kultur diskutiert werden — und der Epilog nachdenkenswerte Überlegungen, anknüpfend an Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung", zur Herausbildung einer Kultur der Postmoderne, so suggerieren sie doch auch eine starke Hermetik gegenüber spezifisch ästhetischen Entwicklungen, die nicht in dem Maße manifest bestanden hat. Richtig ist Hohendahls Ausgangspunkt, daß sich Literatur der komplexen Analyse ohne die Berücksichtigung des mehrschichtigen sozial-ökonomischen, pädagogisch-bildungsgeschichtlichen, religiösen und kommunikationspraktischen Umfeldes verschließt. Die Untersuchung der literarischen Kultur ohne Literatur erscheint uns jedoch problematisch. Wir verweisen in diesem Zusammenhang darauf, daß wichtige Arbeiten der marxistischen Literaturwissenschaft (Rosenberg) weder im Text noch in der umfangreichen Bibliographie erwähnt werden.
Konzentrieren wir uns trotz vorgebrachtcr Bedenken auf den eigentlichen Gegenstand der Untersuchung Hohendahls, so zeigen sich doch äußerst anregende Denkanstöße in Hinblick auf die Verifikation von Mechanismen kultureller Prozesse. Der Verf. versucht für diese Prozesse sozusagen ein tertium comparationis im Begriffskorrelat Institution und Öffentlichkeit anzubieten. Der Institutions- begriff soll Literatur weitgehend systematisch und historisch zu untermauern helfen und literarische Normen/Konventionen im Prozeß ihrer Veränderbarkeit durchschaubar machen. Betrachten wir jedoch Norm/Konvention als Etablierung einer bestimmten Allgemeingültigkeit — wie schwierig diese auch immer zu fixieren ist —, so zeigt uns Hohendahl nur bestimmte Ausschnitte einer literarischen Kultur. Einengungen sind bereits dem dominanten Periodisierungsbegriff des Titels der Untersuchung inhärent. Der Verf. hat dies in seinen Bemerkungen zur Rezeptionsästhetik und zum Beitrag der Semiotik auch reflektiert und versucht, nachdem der Institutionsbegriff umfassend einem wissenschaftsgeschichtlichen Exkurs unterzogen wurde, durch die Kategorie Öffentlichkeit/öffentliche Meinung die Grundlage seines Modells zu verbreitern. Deutlich erkennbar wird dabei, wie weit sich Hohendahl an J. Habermas' Vorstellungen von Öffentlichkeit relativ kritiklos anlehnt. Postuliert Hohendahl in Anknüpfung an die Kritische Theorie die Veränderung der Struktur bürgerlicher Öffentlichkeit als gleichzeitige Prägung der Institution Literatur und eine darauffolgende Wirkung auf die einzelnen Texte, so bleibt er den konkreten Beweis schuldig. Dies ist um so mehr verwunderlich, da er von einer Prämisse ausgeht, der wir nur weitgehend zustimmen können: „Folglich ist die Institution Literatur als Teil der Öffentlichkeit relativ eigenständig, ihre Geschichte daher auch nicht identisch mit der ökonomischen Evolution der Gesellschaft." (S. 36) Ist man in diesem Punkt konsequent, müßten der literarische Text bzw. die spezifische Rezeption literarischer Werke bereits hier und nicht erst als zweite Stufe, auf die Hohendahl hinweist, Grundlage für Fragestellungen sein, die die ästhetischen Aspekte in ein nichtästhetisches Rahmengefüge integrieren und somit weitergreifende Beziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft durchschaubar machen. Das jedes der
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