Heft 
(1989) 47
Seite
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Daß der Herausgeber und langjährige Fontane-Kenner Peter Wruck diesen Bei­trag selber verfaßt hat, kommt diesem dabei zweifelsohne zugute. Er zählt fraglos zu den besten, nachhaltigen Eindruck hinterlassenden Arbeiten des Projektes insgesamt. 1 Das mag wohl in erster Linie daran liegen, daß Wruck sein eigenes vorgegebenes methodisches Prinzip, am beziehungsreichen Einzelfall das wechsel­seitige Bedingungsgefüge zwischen künstlerischer Persönlichkeit/Werk und gesell­schaftlicher Lebenspraxis aufzuhellen, als einer der wenigen auch wirklich ernst genommen hat und so gleichsam eine Musterstudie vorzulegen in der Lage ist, auf deren Niveau man sich die anderen Beiträge auch gewünscht hätte.

Die Grundthese von Wrucks Betrachtung bildet die Feststellung, daß Berlin stets das Zentrum und damit gleichzeitig Thema von Fontanes Leben wie literarischem Schaffen gewesen ist.Fontanopolis" (geprägt von Ernst Heilborn) als meta­phorische Kurzformel für das Berlin der Gründerjahre mit den Zügen, die es in des Dichters Werk trägt, bildet dafür die zeichensetzende Klammer. Wruck nähert sich dem Problem dabei von außen her, d. h. in erster Linie soziopsycho- logisch, indem er die psychischen Funktionsweisen gesellschaftlicher Strukturen, Einrichtungen und Phänomene aufzuspüren bemüht ist. Ihm geht es um das Spannungsverhältnis von objektiver sozio-kultureller Situation und subjektiver Verarbeitung und darum, wie dies sich letztlich in der künstlerischen Gestaltung im literarischen Werk niederschlägt. Entscheidender Ausgangspunkt ist die Erfah­rungswelt Fontanes, v. a. in sozialer, politischer, aber immer auch literarischer Sicht. Wruck schlägt dazu gleichsam einen Erfahrungsbogen durch Fontanes Leben, der die entscheidenden Wendepunkte markiert und dabei immer histo­rische Veränderungen, Umbrüche und ihre Folgen mit hereinholt. Vor Augen geführt wird, wie Fontane faktisch das gesamte soziale Terrain Berlins durch­schritten hat. Angefangen von den Jugenderlebnissen in den Proletarier- und Pariavierteln der Stadt, über kleinbürgerliche Verhältnisse während seiner Pen­sion beim Onkel und in der Apothekerlehre, die Künstlerboheme der Kaffee­häuser bis hin zur neuen liberalen oder auch situierten Großbourgeoisie und der sogenannten .guten Gesellschaft' des Adels und des Bildungsbürgertums. Inter­essant dabei z. B. die Ausführungen zum jungen Fontane, der von den Verhält­nissen wie von seinen Voraussetzungen her durchaus dazu prädestiniert schien, ein politisch engagierter, gar sozialrevolutionärer Vormärzdichter zu werden. Der aber die Möglichkeiten engerer Bindungen an untere soziale Schichten immer auch als Bedrohung durch den damit verbundenen Verlust an gesellschaft­lichem Status, an beruflichen und literarischen Aufstiegschancen empfand und sie so letztlich aufgab. Aufschlußreich auch die Einschätzung der literarischen Ver­einigungen, v. a. des «Tunnels über der Spree", dessen Mitgliedschaft sich für Fontane als eine entscheidende Weichenstellung seines persönlichen und litera­rischen Werdegangs erweisen sollte. Die dadurch angebahnten Verbindungen zu den oberen Gesellschaftskreisen bis zum Hof und in die Regierung hinein, setzte(n) ihn in den Schoß der herrschenden Kultur und in ein gesellschaftlich integriertes literarisches Treiben" (I, 38), aus dem sich Fontane auch nie mehr gänzlich löste.Er war seitdem vollständig in die gute Gesellschaft und, mehr als das, in die privilegierte Nation integriert und teilte ihr Dasein", lautet dahin­gehend ein weiterer Befund Wrucks. Und poetologisch gewendet, bedeutet dies wiederum, daß zwischen den Formen von Fontanes Erleben und dem literarischen Inszenieren dieses Lebens kaum noch Unterschiede bestanden. So klärt sich dann auch der eigentümliche Umstand in Fontanes Werk, daßsozio-ökonomische Schattenseiten" (I, 69), überhaupt die soziale Perspektive nur sporadisch, ledig-

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