Heft 
(1989) 47
Seite
105
Einzelbild herunterladen

Thomas Tyrrell: Theodor FontanesEffi Briest und Friedrich Spiel- hagensZum Zeitvertreib: zwei Dichtungen zu einer Wirklichkeit. Diss. Houston, Texas 1986. 203 S.

(Rez.: Joachim Biener, Leipzig)

Thomas Tyrrell geht in seiner Dissertation von denKarrieren" Fontanes und Spielhagens aus, dievöllig umgekehrt verlaufen" seien (S. 2). Während Fontane erst spät zum Roman und zum Erfolg gelangt sei, wäre Spielhagen bereits mit seinem ersten,, RomanProblematische Naturen"schlagartig berühmt" (S. 2) geworden. Die junge naturalistische Bewegung habe sich zu Fontane bekannt, während sie Spielhagen heftig angriff. MitEffi Briest" undZum Zeitvertreib" reagieren beide Autoren auf einen zeitgenössischen Vorfall. Während aber Fon­tane damit seinen ersten großen Romanerfolg gehabt habe, sei Spielhagen nicht mehr die Resonanz früherer Werke zuteil geworden. Zur vergleichenden Text­analyse führte am Ende der Einleitung folgende Feststellung:... die beiden Romane sehen trotz Ehebruch und trotz Duell, die ihnen gemeinsam sind einander so unähnlich wie möglich, daß ein unbefangener Leser kaum auf die idee kommen könnte, beide Autoren hätten aus derselben Quelle geschöpft" (S.6). ' /,

Im 1. Kapitel beschreibt Tyrrell die Stoffquelle, d. h. die Ardenne-Affaire und die Lebensgeschichte Elisabeth von Plothos. Er folgt dabei freilich nicht unkritisch der ArbeitZeugnisse und Materialien zu FontanesEffi Briest' und Spiel - hagens ,Zum Zeitvertreib'" von Hans Werner Seiffert 1 . Gotthard Erlers Darstel­lung derArdenne-Affaire bei Fontane und, Spielhagen" 2 wird jedoch nicht berück­sichtigt, obgleich ein anderer Beitrag des Autors, seine Analyse zu Fontanes RomanentwurfMelusine von Cadoudal", im Literaturverzeichnis (S. 194) genannt wird.

Die Kapitel 2 und 3 sind der erste große Untersuchungskomplex, der der Behand­lung des Stoffes durch Fontane und Spielhagen gilt.Abgesehen von ein paar gewichtigen Einzelheiten" sei Fontanein den groben Umrissen der Quelle treu geblieben (S, 17). Mit Recht wendet sich Tyrrell gegen die vom Schriftsteller selbst hervorgerufene Auffassung von der Effi-Komm-Episode als wesentlicher Antriebskraft zum Schreiben des Romans. Dieses Element, wenngleich von Frau Emma Lessing angeregt und dem Autor nahegelegt, sei als Leitmotiv bereits dichterisch transformierte Realität:eine wundervolle Verschmelzung von Wirk­lichkeit und Dichtung" (S. 16). Der Effi-Komm-Episode kommt daher für den Schaffensprozeß eher symbolische als reale Bedeutung zu 3 .

Weniger kann man jedoch den Ansichten des Verfassers von der künstlerischen Gestaltung Effis durch Fontane zustimmen. Nach seiner Auffassung hat der Dichter die Figur der Effi gesellschaftlich zu stark entlastet. Er habe sichin dem Maß der Verurteilung versehen, die Effi als Ehebrecherin von der Gesellschaft zuteil werden mußte" (S. 21).'

Die moderne demokratisch orientierte Literaturwissenschaft, die sich vor allem auf FontanesEntschuldigungsmomente" konzentriere, werde bewirken,daß Effi demnächst heiliggesprochen wird" (S. 26). Andererseits tendiert Tyrrell zur Apologie Innstettens, für dessen Lage manin der Zeit der Verhaltenswissen­schaften" mehr Verständnis aufbringen soll (S. 185).