aus der Feder Spielhagens erschien. Spielhagen schätzte an „Effi Briest" in erster Linie die „Simplizität" 4 der Geschichte, ihre Klarheit, Übersichtlichkeit, Logik und Konsequenz. Er ist, im Unterschied zu den „Wahlverwandtschaften", fasziniert vom Nicht-Konstruierten in Fontanes Roman. Dazu gehört für Spielhagen auch die „unmerkliche" 5 Anhebung und Stilisierung der Alltagssprache in der Figurenrede. Die Einwände gegen angebliche Unwahrscheinlichkeiten (Aufbewahrung und Entdeckung der Briefe) sind demgegenüber unerheblich.
Von der Vorlesung der vergleichenden Studie im Kreise der Familie Fontane „waren alle sehr hingenommen", „am meisten" Fontane selbst (Fontane an Spielhagen am 15.2. 1896). Und Fontane folgert: „Man muß doch schließlich vom Fach sein, nicht um folgen . . ., aber um voll würdigen zu können" (ebenda). Schon am 11.2.1896 hatte Fontane gegenüber Spielhagen bekannt: „Es ist hocherfreulich, daß sich schließlich immer wieder herausstellt: das Beste haben die Kollegen voneinander ..."
Angesichts dieser Betroffenheit und bewußten Kritiker- und Künstlersolidarität muß man sich über Fontanes Taktieren in der Frage der Veröffentlichung des vergleichenden Essays in der Korrespondenz mit Spielhagen und Julius Rodenberg wundern 6 . Nochmehr wundert man sich über Tyrrells Ansicht, „Effi Briest" sei im Vergleich mit den „Wahlverwandtschaften" nur ein „beinahe beliebiges Beispiel eines modernen realistischen Romans" (S. 113). Hier geschieht dem Kritiker und Theoretiker Spielhagen Unrecht, der sehr wohl über individualisierende literaturkritische Potenzen verfügt und in dieser Hinsicht bisweilen den Gestalter überragt, der von schematisierenden Tendenzen nicht immer frei ist. Hinzu kommt Spielhagens eigene, vielleicht unbewußte Kritik an seinem Roman „Zum Zeitvertreib". Er warnt Fontane im Brief vom 28.5. 1896: „Lassen Sie sich ,Zum Zeitvertreib' nicht vorlesen. Der Roman in seiner gewollten satirischen Herbheit. .. " sei keine geeignete Lektüre für einen Kuraufenthalt (ebenda). Spielhagen hat also offenbar im Vergleich mit „Effi Briest" das Gewollte und Forcierte des eigenen Werkes empfunden, möglicherweise auch die fehlende Rhythmik und Musikalität. Der komparatistische Essay und die eigenen selbstkritischen Bemerkungen sprechen jedenfalls für Spielhagen als einen verstehenden und würdigenden Künstler.
Nach diesem kleinen Exkurs unmittelbar zurück zu Tyrrell. Das Schlußkapitel bringt noch einige Rückfälle in eine fragwürdige Spielhagen-Apologie. So werden alle Wirklichkeitsbereiche aufgezählt, die Spielhagen gestaltet habe, während sie bei Fontane fehlen. Aber die Unterscheidung zwischen extensiver und verinnerlichter Wirklichkeitsgestaltung bleibt außer Betracht. Trotz der Defizite im Historisch-Gesellschaftlichen und im Sprachlich-Ästhetischen liest man die vorliegende Untersuchung nicht ohne Interesse und ohne Gewinn. Die Arbeit weist nach, warum „Zum Zeitvertreib" heute vergessen ist, während „Effi Briest" bei den Lesern weiterlebt.
Quellenangaben und Anmerkungen
1 Seiffert, Hans Werner: Studien zur neueren deutschen Literatur, Akademie- Verlag, Berlin 1964.
2 Erler, Gotthard: Die Ardenne-Affäre bei Fontane und Spielhagen. In: Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte Fontanescher Romane, Fontane-Blätter, Sonderheft 2/1969, S. 64-68.
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