Heft 
(1989) 47
Seite
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Folgende Kapitel zeigen, wie die Arbeit angelegt ist:

Einleitungskapitel (Tolstoi und die deutsche Literatur; Fontane und die russische Literatur, 8 S.); Aspekte des Romans (zumhistorischen Roman", 23 S.); die Gestalt Napoleons, 45 S.; das Bildnis des Feindes, 42 S.; das Bild des Verbün­deten, 29 S.; die Darstellung des Militärs, 34 S.; die Darstellung des Krieges, 47 S.; Schlußbetrachtung, 2 S.; Literaturverzeichnis.

Von den Quantitäten her dominieren die Textvergleiche; die Schlußbetrachtung fällt sehr schmal aus. Die Feststellung, daß beide Autorenoft nicht nur das gleiche Thema, sondern auch das gleiche Motiv manchmal bis ins Detail" (S. 256 f.) verfolgt haben, ist zwar nachgewiesen, steht aber wohl doch zu isoliert da, um die Wertung zu tragen, daß Fontane im Vergleich mit anderen zeitgenös­sischen RomanenTolstoi doch näher" stehe, als Reuter (I, S. 39) dies zeige, der die Meinung vertrete, daß FontanesSturm" nicht in die Nachbarschaft von Krieg und Frieden" gehöre. Uns ist dies zu pauschal; daher möchten wir die Momente der Arbeit herausheben, die weiterführende Einsichten vermitteln.

In Kapitel II (Romantheorie) knüpft Remenkova an die Beobachtung in Kapitel I, S. 1417, an, daß Fontanes Roman bis heute nicht als Meisterwerk des Dichters gelte, obwohl Elemente späterer Erzählkunst schon angelegt seien (Wagner 1966, Brinkmann 1967). Die großen historischen Dimensionen seien nicht Fontanes Stärke gewesen, derSturm" im Grunde kein historischer Roman. Parallelen struktureller Art (Figuren, Motive, Handlung) zeigen viel Übereinstimmung, den­noch seiKrieg und Frieden" trotz ähnlicher Entstehungsdaten und Zeitdistanz in einem ganz anderen Sinne gattungserneuernd, anders als Scott (S. 28), und mit Lukács (Der historische Roman 1955, S. 85) ohne direkte Abhängigkeit,eine geniale Erneuerung und Weiterbildung des klassischen, des Scottschcn Typus des historischen Romans". Zu dieserAndersartigkeit" (S. 29) gehöre, neben der Einbeziehung tatsächlicher Ereignisse und anderer Formen der erzählerischen Darbietung (vgl. Kapitel II und III), die direkte und indirekte Einbeziehung Napoleons. Kapitel III (S. 59104) der Arbeit bringt u. E. die fruchtbarsten Vergleiche. Nicht so sehr der Einzelversuch (etwa zum Feindbild) überzeugt, aber es wird auf diesem oft zu isolierten Wege doch Entscheidendes eingebracht. Kutusow und Vitzewitz (v. d. Marwitz) sind schwerlich produktiv zu vergleichen. Wohl aberDie Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte" (III, 3), die Stellung der Helden im Figurenensemble und die Rolle der Episodenberichte der v. Hirsch; feld und v. Meerheimb bei Fontane. Wenn Pierre Besuchov bei Tolstoi die Revolutioneint große Tat" (S. 71) nennt, so ist dies aus dem Munde Vitzewitz' ein undenkbarer Satz, ja selbst Bamme, der bei Fontane die Ebenbürtigkeits­passagen im 4. Buch einleitet, sieht Napoleon nicht als Repräsentanten jener bür­gerlichen Forderung der Revolution. Mit dieser Differenz im Geschichtsbild, die Remenkova klar benennt, kann die spezifische Position des Fontane-Romans sehr fruchtbar erhellt werden: Warum Othegraven blasseLichtgestalt" bleiben mußte (Reuter), warum Marie Kniehase vorherbestimmt ihreRolle" aus dem Lübecker Totentanz herleitet (es kam alles, wie es kommen mußte"), warum Marwitz nicht konservativer Held der Stände im Raum Lebus blieb, aber trotz der Kritik an seinen Motiven (IV, 25 bei F.) doch als Bernd von Vitzewitz Träger der patrio­tischen Insurrektion (wenn es sein muß, auch gegen den König"; V, 13 f.) werden konnte. Im Fontane-Roman ist der Geschichtskonflikt auf den Loyalitäts­konflikt zurückgeschnitten, Napoleon bleibt (wie bei Marc Niebuhr, dem ersten Herausgeber der Marwitz-Memoiren, einer wesentlichen Quelle für Fontane) Bösewicht, Königsmörder,Regicide". Dieser Blickwinkel ist bestimmend.

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