Heft 
(1989) 48
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Gedichte, an deren Durchsicht (des Gedruckten und des Ungedruckten) ich, nach vielen andern Arbeiten, endlich in diesem sommerlichen Landaufenthalte ge­kommen bin. Dabei hat sich aber meine Auffassung der Sachen gegen früher sehr wesentlich geändert. Ich bin mit etwas ernster und strenger Kritik daran gegangen, habe allem Phrasenwesen den Krieg erklärt, habe das Naive und im Gefühl Reine, wo es noch nicht klar vorlag, völlig herauszuarbeiten gesucht, habe auch ganz beseitigt, was ein allzu beschränktes Interesse zu haben schien. Das Schlußresultat dieser Arbeit ist nun, daß ich von den 263 Seiten meiner Sammlung 95 ganz gestrichen habe (neben vielen andern Einzel-Correcturen), daß das Hin­zuzufügende c. 102 Seiten desselben Formats ausmachen würde, und daß somit durch diese Redaction ein zur Hälfte neues Buch entstanden ist. Es steht mir nicht an, meine Bearbeitung des Alten, noch den Charakter des Neuen (das zum großen Theil Umfassenderes von epischer Darstellung enthält) zu empfehlen: ich glaube aber doch sagen zu können, daß ich bei der ganzen Redaction Frische und Strenge, jedes in seiner eigenthümlichen Forderung, beobachtet habe.

Nun paßt alles früher Beabsichtigte nicht mehr. Die alte Sammlung dürfte füglich bleiben können, wie sie ist (zumal auch, da ich in die neue z. B. nichts von den Künstlerliedern, die in jener enthalten sind, aufgenommen habe); aber ich möchte, ihr zur Seite, gern eben auch diese neue Sammlung, zur Dokumentation meines jetzigen Standpunktes und zur Erfüllung meiner Rolle, hinaustreten sehen. Die ganze Fassung dieser neuen Sammlung scheint mir zu jener Ausstattung kleinen Formats, die heut zu Tage beliebt ist, sehr wohl geeignet.

Meine Frage ist daher, ob Sie geneigt sein würden, diese neue kleine Ausgabe meiner Gedichte zur Seite der alten (von der sie nur die Hälfte enthielte) veran­stalten zu lassen. Auf Honorar würde ich dabei keinen Anspruch machen und mir ein solches nur für eventuelle spätere Auflagen (sowie auch die Berechtigung zur Aufnahme in spätere gesammelte Werke) Vorbehalten. Außerdem würde ich nur eine gewisse größere Anzahl von Freiexemplaren, sowie (als erste conditio sine qua non) um regelmäßige Zusendung der Revisionsbogen der Correctur bitten, auch zunächst um gefällige Zusendung von einigen Exemplaren der älteren Ausgabe der Gedichte, deren ich zum vollständigen Arrangement des Manuscripts nöthig habe.

Unser Geibel ist nun nach München übergesiedelt und hat eine sehr liebenswür­dige junge Frau mit dorthin geführt. Meine lebhaftesten Wünsche sind in seinem Geleit: möge er dort einen gedeihlichen Boden finden und möge es mit seiner immer nicht festen Gesundheit fortan recht gut gehen! Sie haben ihn nun näher als ich und können vielleicht besser dafür sorgen, daß der erste Theil seines großen Epos nun bald zum Abschlüsse gebracht wird.

Mit hochachtungsvoller Ergebenheit .

Berlin, den 27 ten October

1852

F. Kugler

Anmerkungen

Dieser Brief von Franz Kugler erscheint mit freundlicher Genehmigung des Schil­ler-Nationalmuseums Marbach a. N Cotta-Archiv (Stiftung der Stuttgarter Zei­tung).

in England - Fontane hielt sich von Ende April bis Ende September 1852 im Aufträge derCentralstelle für Preßangelegenheiten" in London auf.

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