Heft 
(2020) 109
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»Landschaftsbilder«,»Fensterbilder« Wegmann 35 Effi Briests Fensterbilder als Lebensspiegel Auf einem Gemälde Adolf Menzels bauschen sich weiße Gardinen, Streifen hellen Lichts dringen durch den feinen Stoff in einen Raum, der mit einem roten Teppich, zwei Stühlen und einem Stehspiegel möbliert ist, in dessen Glas sich ein goldgerahmtes Figurenbild und ein Sofa mit gestreiftem Bezug spiegeln. Am Fenster eines wie von Menzel gemalten Zimmers sinnt Effi Briest über ihre Vergangenheit nach. Adolph Menzel(1815–1905): Balkonzimmer, 1845.(Abb. 10) Wie bei Menzel abgeschrieben mutet eine Szene an, in der Effi Briest, wäh­rend sie eine Woche im Elternhaus in Hohen-Kremmen weilt, am Fenster des großen Zimmers im Oberstock steht. Die unteren Fensterflügel waren geöffnet, und die kleinen weißen Gardi­nen bauschten sich in dem Zuge, der ging, und fielen dann langsam über die Stuhllehne, bis ein neuer Zugwind kam und sie wieder frei machte. Dabei war es so hell, daß man die Unterschriften unter den über dem Sofa hängenden und in schmale Goldleisten eingerahmten Bildern deut­lich lesen konnte. 72 Der Blick geht nicht nach draußen, er fängt ein, was man eigentlich nicht sehen kann, das Fluten der Luft, das in Wellen anströmt und wieder nach­lässt wie die Bilder der Erinnerung, denen sich die junge Frau nun überlässt. Es sind Erinnerungen an ihre Kindheit in diesem Haus und an die ersten beiden Ehejahre im Ostseestädtchen Kessin. Man kann Effis Lebensgeschichte entlang von Fensterbildern rekonstru­ieren, die ihre wichtigsten Lebensstationen markieren. Wenn sie nun in Hohen-Kremmen aus dem Fenster des Oberstocks schaut, kann sie auf die Stelle blicken, die in ihrer Kindheit ihr Paradiesgarten war,»auf den Rasen-