Heft 
(2020) 109
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38 Fontane Blätter 109 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte »zwischen Askanischem Platz und Halleschem Thor« 83 . Dr. Rummschüttel, der die Kränkelnde besuchen wird, bittet sie ans Fenster, denn er liebt den Ausblick und möchte Effi ein Mittel gegen ihre Melancholie zeigen:»›Wieder ganz herrlich heute. Sehen Sie doch nur die verschiedenen Bahndämme, drei, nein vier, und wie es beständig darauf hin und her gleitet... und nun verschwindet der Zug da wieder hinter einer Baumgruppe. Wirklich herr­lich. Und wie die Sonne den weißen Rauch durchleuchtet!« 84 Wie so oft schafft der Erzähler ein Fensterbild aus zwei oder drei Elementen, deren Zusammenspiel einen Bezug zu Effis Lebenssituation herstellt, hier ex nega­tivo: Die Bewegung der Züge auf den Bahndämmen und der von der Sonne durchleuchtete Rauch das Fensterbild gleicht dem bei den Barbys am Kronprinzenufer zum Verwechseln wollen Effi nach draußen rufen. Aber Effi ist schwach, kränklich, schwermütig. Diesem Ruf kann sie nicht folgen. Allenfalls wird sie zuweilen aus einem andern Fenster der Wohnung auf die nahe gelegene Christuskirche schauen.»›Sonntags, beim Abendgottes­dienst, wenn die Fenster erleuchtet sind, sehe ich ja immer hinüber‹«, wird sie sagen,»›aber es hilft mir auch nichts, mir wird dann immer noch schwe­rer ums Herz.« 85 Dieses Fensterbild wird sie nach innen rufen, in einen er­leuchteten Raum. Es ist der Ort, den alle Sehnsuchtskranken suchen. Schließlich findet sie ihn im größten Innenraum, den es gibt, unter dem Himmelsgewölbe. Schwer krank wird sie ins Elternhaus nach Hohen-Krem­men zurückkehren, wo sie wieder am Fenster des Oberstocks stehen und in den Sternschnuppennächten des Spätsommers zum leuchtenden Himmels­wunder hinaufschauen wird.»Die Sterne flimmerten, und im Park regte sich kein Blatt. Aber je länger sie hinaus horchte, je deutlicher hörte sie wieder, daß es wie ein feines Rieseln auf die Platanen niederfiel.« 86 Effis baldiger Tod wird ebenfalls einem Zerrieseln und dem Aufgehen einer eingesperrten Seele in den großen Zusammenhang gleichen. Junge Frau am Fenster das war ein typisches Motiv romantischer Ma­lerei. Es ist eine prägnante Formel für die romantische Sehnsucht nach Wei­te, nach dem Unendlichen, nach dem Geliebten. Effi Briest ist kein romanti­scher Roman, die Figur Effi hingegen ist durchaus eine romantische Gestalt, die wie viele andere Frauenfiguren, denen die Liebe des Autors gehörte, sehnsuchtskrank ist. Wie durch ein Claude-Glas Wenn Fontane in seinen Romanen auf Maler oder Bilder verweist, will er damit eine Art Unterzeichnung für den Text und seine Figuren mitliefern. Die Anspielungen auf nicht genau benannte Bilder sind oft schwer auf ein­deutige Quellen zu beziehen. In einem Nachtstück mit Kirche, Mondlicht, Wolken und Krähen scheint wahrscheinlich ein Gemälde Caspar David