Heft 
(2020) 109
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Gartengespräche  Sill 57 die letztendlich die Katastrophe heraufbeschwören. Wie ein unsichtbarer Faden durchzieht die Schuld der Mutter den ganzen Roman und liefert die Antwort auf jene Frage, die Luise, am Grab ihrer Tochter stehend, zuletzt an ihren Mann richtet:»Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind?« 21 Bevor Charlotte im ersten Kapitel der Wahlverwandtschaften ihre Be­denken äußert, den Hauptmann aufs Schloss einzuladen, erinnert sie Edu­ard noch einmal an die verwickelten Umstände, die zu ihrem jetzt gemein­sam genossenen Glück geführt haben:»Mag ich doch so gern unserer frühsten Verhältnisse gedenken! Wir liebten einander als junge Leute recht herzlich; wir wurden getrennt; du von mir, weil dein Vater, aus nie zu sätti­gender Begierde des Besitzes, dich mit einer ziemlich älteren, reichen Frau verband; ich von dir, weil ich, ohne sonderliche Aussichten, einem wohlha­benden, nicht geliebten, aber geehrten Manne meine Hand reichen mußte. Wir wurden wieder frei; du früher, indem dich dein Mütterchen im Besitz eines großen Vermögens ließ; ich später, eben zu der Zeit, da du von Reisen zurückkamst. So fanden wir uns wieder. Wir freuten uns der Erinnerung, wir liebten die Erinnerung, wir konnten ungestört zusammenleben.« 2 Erst das Ableben gleich beider Ehegatten, mithin ein doppelter Zufall, ebnete also den Weg für die späte Heirat Eduards und Charlottes. Im Vergleich dazu ist die Vorgeschichte in Effi Briest sehr viel einfacher. Jener Baron, der in Kürze Effi zum Traualtar führen wird, war einst die Jugendliebe ihrer Mutter Luise. Doch nicht aus deren Mund erfahren wir Lesende von den damaligen Ereignissen. Es ist Effi überlassen, ihren Freundinnen(und damit uns) das wiederzugeben, was sie von ihrer Mutter in Erfahrung gebracht hat:»›Also Baron Innstetten! Als er noch keine Zwanzig war, stand er drüben bei den Rathenowern und verkehrte viel auf den Gütern hier herum, und am liebsten war er in Schwantikow drüben bei meinem Großvater Belling. Natürlich war es nicht des Großvaters wegen, daß er so oft drüben war, und wenn die Mama davon erzählt, so kann jeder leicht sehen, um wen es eigentlich war. Und ich glaube, es war auch gegen­seitig./ ›Und wie kam es nachher?/ ›Nun, es kam, wies kommen mußte, wies immer kommt. Er war ja noch viel zu jung, und als mein Papa sich einfand, der schon Ritterschaftsrat war und Hohen-Cremmen hatte, da war kein langes Besinnen mehr, und sie nahm ihn und wurde Frau von Briest.« 23 Eduard und Charlotte wurden von ihren Eltern verheiratet aus famili­enpolitischem Kalkül. Dasselbe Kalkül ließ Luise die Gattin des Ritter­schaftsrats von Briest werden. Damals auf der Strecke blieb dort die Liebe zwischen Eduard und Charlotte, hier die Liebe zwischen Luise und Geert von Innstetten. Über diese offenkundigen Parallelen hinaus lässt sich zei­gen, wie Fontane die komplizierte Vorgeschichte in Goethes Roman ent­flechtet, um sich gleichwohl mit Effi Briest einzuschreiben in das von ­Goethe kreierte Genre des Ehebruchsromans. 24 Zugespitzt formuliert: Mit der Fi­gur Luise von Briest entwirft Theodor Fontane auch eine andere Geschichte­