Heft 
(2020) 109
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Gartengespräche  Sill 59 auch in deutlicher Anlehnung an jene frühen Kapitel von Soll und Haben, in denen das Herrenhaus, der Garten und der Teich des Freiherrn von Roth­sattel vorgestellt werden; frühe Kapitel, in denen sich die Mutter zunächst mit ihrer noch kindlich verspielten Tochter Lenore unterhält und in denen gleich im Anschluss der Freiherr Oscar von Rothsattel und seine Gattin Elsbeth ein ernstes Gespräch über Lenores Zukunft führen, an dessen Ende wiederum eine Entscheidung von unabsehbaren Folgen getroffen wird. Im weit verzweigten Handlungsgeflecht von Soll und Haben bildet die Geschichte der Rothsattels nur einen, wenn auch bedeutenden Handlungs­strang. Im Mittelpunkt aber steht zweifellos Anton Wohlfart, der nach dem Tod seiner Eltern im Alter von achtzehn Jahren seine Heimatstadt verlässt, um nach Breslau zu wandern. Sein Weg führt ihn zufällig am Herrenhaus der Rothsattels vorbei, zufällig begegnet er dort Lenore und verliebt sich sogleich in die schöne,»fast erwachsene« 32 Adelstochter, die dem aus be­scheidenen Verhältnissen stammenden Anton wie eine Prinzessin er­scheint. Effi wird später mit den Freundinnen auf den Teich von Hohen­Cremmen hinausrudern; hier rudert Lenore den»verzauberten« Anton über den Teich, damit er»drüben« 33 seinen Weg fortsetzen kann. Eingebet­tet in dieses übergeordnete Handlungsgefüge ereignen sich die eben er­wähnten Gespräche zwischen Mutter und Tochter bzw. zwischen Elsbeth und Oscar von Rothsattel, übrigens ein»Baron im besten Mannesalter« 34 wie schon Eduard und später Geert von Innstetten. Effi, temperamentvoll, schlagfertig, verspielt; diese Effi ist in wesentli­chen Zügen nach dem Bilde Lenores gezeichnet, wie es Fontane in Gustav Freytags Roman vorgefunden hat. Während Elsbeth von Rothsattel»in ei­ner Gartenlaube[...] in den neuen Journalen« 35 blättert, sitzt Luise von Briest mit»ihrer Stickerei« 36 auf dem schattigen»Fliesengang« auf der bevorzug­ten»Gartenseite« 37 des Herrenhauses. Beide schauen auf und beobachten ihre Töchter: Lenore treibt allerlei Unfug mit ihrem Pony, dem sie»aus Blu­men und Zeitungspapier eine groteske Halskrause« 38 geformt hat; Effi ­hingegen macht»nach links und rechts ihre turnerischen Drehungen« 39 . ­Lenore, durch die Blicke der Mutter aufmerksam geworden,»flog wie eine Libelle zu den Füßen der Mutter« 40 ; ihr gleich»flog Effi von neuem über das Rondell hin« 41 . Beide, Lenore und Effi, sind voller Ungestüm und dabei von graziler Leichtigkeit. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass beide Mütter ihre fast erwachsenen Töchter in einer Mischung aus Zuneigung und Sorge betrachten. Elsbeth bemerkt zu Lenore:»Du bist mein gutes, wildes Mäd­chen«, ergänzt jedoch, dass es nun an der Zeit sei,»daß du etwas Ordentli­ches lernst« 42 . Die stürmische Effi wiederum wird von der aufblickenden Mutter mit den Worten empfangen:»Effi, eigentlich hättest du doch wohl Kunstreiterin werden müssen.« 43 Eben daran denkt auch Anton, als er»die schlanke Gestalt« Lenores auf ihrem»schwarzen Pony« 44 zum ersten Mal