Heft 
(2020) 109
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68 Fontane Blätter 109 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Post- und Korrespondenzkarten nach und nach zu einer privateren Kommu­nikation. 17 Gleichzeitig sank die Qualität des Papiers, weil sich industriell ge­fertigte Einheitspapiere mit hohem Säuregehalt durchsetzen. 18 Die Verwendung des Quartbogens in Zeiten der Reichspost ist ebenso wie das alte Siegel Reflex, Rudiment oder Widerstand ständischen Bewusst­seins. Fontanes Figuren beobachten oftmals anhand kommunikationstech­nischer und –ökonomischer Entwicklungen Veränderungen und nehmen mittels dieser Beobachtungen kommunikative Justierungen von alt/veraltet und neu/modern vor. Mehr noch, in Korrespondenzen werden»mit kleinen Ausschlägen und Irritationen« 19 ferne und mitunter große Ereignisse ange­zeigt. Siegel, Papierform, Format und Umfang der Briefsendung sind Ge­genstand dieser Wahrnehmungen. Für Woldemar stiften gesiegelte Quart­bögen in Anbetracht der Absenderin zwar keine Verwirrung, triggern aber innere Widerstände. Ein retardierendes Moment auch als Gegenbewegung zur modernen Kommunikation der Telegrafie stellt sich in Cécile(1886) ein, wie Gordon in Berlin feststellt: Als er nach einer Stunde müd und abgespannt nach Hause kam, über­gab ihm der Portier einen Brief und ein Telegramm. Der Brief war von Cécile, soviel sah er an der Aufschrift, und die Frage, woher die Depe­sche komme, war ihm deshalb, momentan wenigstens, gleichgültig. Er stieg hastig in seine Wohnung hinauf, um zu lesen[]. Endlich erbrach er den Brief. 20 Wie selbstverständlich versiegelt die aristokratische Cécile ihren Brief an Robert von Leslie-Gordon, während Kommunikation und Neuigkeiten ihrer Zeit fast ausschließlich über die viel moderneren Telegramme, Zeitungsan­zeigen oder Billetts übermittelt werden und die Adressaten zu früh oder zu spät erreichen. 21 Das Prüfen der Oberfläche und der Materialität des Briefes, die Begut­achtung von Poststempel, Beschriftung und vor allem Versiegelung führt bei Fontanes Briefempfängern regelmäßig zu einem Innehalten, zu inneren Widerständen oder auch zu neuen Erwartungen. Das Siegel ist hierbei Über­träger und Übertragenes zugleich: Wie eine Urkunde beglaubigt der ge­siegelte Brief weniger den Inhalt als dessen Echtheit,»weswegen das be­glaubigte Papier, anders als der Text, weniger in der ontologischen Ordnung des Lesbarkeit als in der Sichtbarkeit existiert: Man sieht ein Siegel, während man einen Text liest« 22 , so der Philosoph Knut Ebeling. Anders in Graf Petöfy (1883); Judith von Gundolskirchen, die Schwester des Grafen wendet sich in Form eingelegter Briefe an dessen junge Frau, die moderne und weltläufige Schauspielerin Franziska: »Im übrigen«, nahm der Graf wieder das Wort, während er unter Papie­ren umhersuchte, die neben ihm auf dem Tisch lagen,»im übrigen hat der Brief an mich auch eine Einlage. Da! Schwester Judith scheint sich,