68 Fontane Blätter 109 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Post- und Korrespondenzkarten nach und nach zu einer privateren Kommunikation. 17 Gleichzeitig sank die Qualität des Papiers, weil sich industriell gefertigte Einheitspapiere mit hohem Säuregehalt durchsetzen. 18 Die Verwendung des Quartbogens in Zeiten der Reichspost ist ebenso wie das alte Siegel Reflex, Rudiment oder Widerstand ständischen Bewusstseins. Fontanes Figuren beobachten oftmals anhand kommunikationstechnischer und –ökonomischer Entwicklungen Veränderungen und nehmen mittels dieser Beobachtungen kommunikative Justierungen von alt/veraltet und neu/modern vor. Mehr noch, in Korrespondenzen werden»mit kleinen Ausschlägen und Irritationen« 19 ferne und mitunter große Ereignisse angezeigt. Siegel, Papierform, Format und Umfang der Briefsendung sind Gegenstand dieser Wahrnehmungen. Für Woldemar stiften gesiegelte Quartbögen in Anbetracht der Absenderin zwar keine Verwirrung, triggern aber innere Widerstände. Ein retardierendes Moment – auch als Gegenbewegung zur modernen Kommunikation der Telegrafie – stellt sich in Cécile(1886) ein, wie Gordon in Berlin feststellt: Als er nach einer Stunde müd‘ und abgespannt nach Hause kam, übergab ihm der Portier einen Brief und ein Telegramm. Der Brief war von Cécile, soviel sah er an der Aufschrift, und die Frage, woher die Depesche komme, war ihm deshalb, momentan wenigstens, gleichgültig. Er stieg hastig in seine Wohnung hinauf, um zu lesen[…]. Endlich erbrach er den Brief. 20 Wie selbstverständlich versiegelt die aristokratische Cécile ihren Brief an Robert von Leslie-Gordon, während Kommunikation und Neuigkeiten ihrer Zeit fast ausschließlich über die viel moderneren Telegramme, Zeitungsanzeigen oder Billetts übermittelt werden und die Adressaten zu früh oder zu spät erreichen. 21 Das Prüfen der Oberfläche und der Materialität des Briefes, die Begutachtung von Poststempel, Beschriftung und vor allem Versiegelung führt bei Fontanes Briefempfängern regelmäßig zu einem Innehalten, zu inneren Widerständen oder auch zu neuen Erwartungen. Das Siegel ist hierbei Überträger und Übertragenes zugleich: Wie eine Urkunde beglaubigt der gesiegelte Brief weniger den Inhalt als dessen Echtheit,»weswegen das beglaubigte Papier, anders als der Text, weniger in der ontologischen Ordnung des Lesbarkeit als in der Sichtbarkeit existiert: Man sieht ein Siegel, während man einen Text liest« 22 , so der Philosoph Knut Ebeling. Anders in Graf Petöfy (1883); Judith von Gundolskirchen, die Schwester des Grafen wendet sich in Form eingelegter Briefe an dessen junge Frau, die moderne und weltläufige Schauspielerin Franziska: »Im übrigen«, nahm der Graf wieder das Wort, während er unter Papieren umhersuchte, die neben ihm auf dem Tisch lagen,»im übrigen hat der Brief an mich auch eine Einlage. Da! Schwester Judith scheint sich,
Heft
(2020) 109
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