88 Fontane Blätter 109 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte wie das gewohnheitsmäßige Schwängern deutscher Dienstmädchen durch einen der»Helden« des Romans, als absolut selbstverständlich hingestellt werden, können, ja müssen deutsche Menschen erbittern, wie denn Hermann überhaupt kein angenehmer Judentyp ist. Das zeigt am deutlichsten sein nächster Roman»Kubinke«, die humoristisch sein sollende Geschichte eines Berliner Friseurs, in der denn auch der»deutsche Mann, im Jägerhemd, mit der rauhen und unverhüllten Männerbrust« auftaucht.»Die Nacht des Doktor Hirschfeld« gestattet Studien über die jüdische Sentimentalität und enthält ein Bekenntnis zu Eduard VII. von England, ist übrigens durch gewisse Berliner Stimmungen bemerkenswert; der Roman»Heinrich Schön jun.« stellt die Judenfamilie Schön sozusagen als Kulturträgerin von Potsdam hin und biedermeiert auch wieder ein bißchen zuviel. 39 Dass Georg Hermann 1933 sofort poeta non gratus wurde, kann somit kaum überraschen. Von Kubinke wurden, laut einer brieflichen Äußerung des umgehend in die Niederlande übergesiedelten Verfassers, unmittelbar nach der Machtübernahme 125.000 Exemplare eingestampft. 40 Zuflucht vor dem Unheil des Dritten Reiches suchte und fand der Verfemte aber nicht nur im Exil, sondern auch in der deutschen Literatur. Neben Ludwig Börnes Heringssalat, einer beißenden Polemik gegen Willibald Alexis(Pseudonym für Georg Wilhelm Häring), die ebensogut»heute als Parodie gegen den Arierfimmel und das neue Heidentum geschrieben sein« könnte, empfahl Georg Hermann seiner nach Dänemark entkommenen Tochter 1935»die beiden Bände der Fontaneschen Familienbriefe, immer wieder eine Quelle der heiteren und weniger heiteren Wahrheiten und so lebensn ah wie selten ein Roman überhaupt sein kann.« 41 Von Willibald Alexis hatte Fontane allerdings eine entschieden höhere Meinung als Georg Hermann. 42 Die Schwierigkeit, im Exil zu publizieren und der unterbundene Absatz seiner Bücher im Dritten Reich sollten den Autor bald in finanzielle Bedrängnis bringen, wofür ihn das gesteigerte Interesse an seinen Werken unter den in Deutschland zurückgebliebenen Juden nicht entschädigen konnte. Insbesondere Bearbeitungen seiner Romane für die Bühne erfreuten sich großer Popularität, nachdem die zunehmend vom»arischen« Kulturbetrieb ausgeschlossene Minderheit für selbstorganisierte Ersatzveranstaltungen gesetzlich auf ein»jüdisches Programm« beschränkt wurde. Die Frage, ob und wie er von Holland aus Tantiemen für diese Nutzung seiner Werke beanspruchen könnte und auch für eine amerikanische Verfilmung von Jettchen Gebert, hat Georg Hermann in jenen Jahren stark beschäftigt. Die Vorspiegelung einer, bei aller Tragik des Einzelschicksals, im großen und ganzen heilen Welt war geeignet, im deutschjüdischen Publikum Nostalgiegefühle zu wecken, auch wenn sich die Realität des drohenden Unh eils bestenfalls auf Stunden verdrängen ließ. Bezeichnend ist insofern die gespaltene Reaktion von Betty Scholem auf die Lektüre von»Jettchen Gebert,
Heft
(2020) 109
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