Heft 
(2020) 109
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Der»jüdische Fontane« Muhs 89 nach­dem ich das Stück im Kul­tur­bund gese­hen habe. Ist na­tür­lich nichts wert, gefiel mir aber sehr!« 43 In der Auseinandersetzung mit Fontane und Georg Hermann darf das Beispiel der Familie Scholem als geradezu repräsentativ gelten für das ge­hobene Berliner Juden­tum. 44 Religiös in­dif­fe­rent, kulturell assimiliert und politisch freisinnig, waren sie in ihrem Selbst­verständ­nis als patriotische Bürger durch die Jahre seit 1914 schwer erschüttert worden. Die seit Gene­ra­tio­nen im Fa­mi­lienbesitz be­find­liche Buch­drucke­rei wurde von den bei­den älteren, natio­nal-liberal ge­sinn­ten Söh­nen Rein­hold und Erich wei­ter­ge­führt, die 1927 wie selbstverständ­lich zu den Gründ­ ungs­m­ it­glie­dern des Fon­ta­ne-Abends ge­hör­ten, während die beiden jünge­ren aus Re­bellion ge­gen den Geist ihres El­tern­hauses, zu­mal den autoritären Vater, und den Chau­vi­nis­mus der Kriegs­ja­ hre, neue Wege gegangen waren. 45 Werner Scholem hatte sich, durch das Front­er­leb­nis zum Pazi­fisten ge­wor­den, dem So­zia­lismus verschrieben und sollte in den Zwan­ziger Jah­ren zeit­wei­lig als KPD-Ab­ge­or­d­neter wir­ken. Obwohl seit Jahren aus der Partei ausge­schlos­sen, wurde er im Gefolge des Reichs­tags­brandes Ende Februar 1933 ver­haftet und 1940 im Kon­zen­trations­lager Buchen­wald ermor­det. 46 Der jüngs­te Scholem-Sohn Ger­hard dagegen suchte und fand Erfüllung in der zio­nistischen Jugendbewegung, wobei es ihm zu­vör­derst um eine Wie­der­belebung des jüdi­schen kul­turellen Erbes ging, weniger um Staats­bildung. Auch für Georg Hermann markierte die Erfahrung des Ersten Welt­kriegs einen Wende­punkt in seinem Selbstverständnis. 47 Als Dichter»derer, die im Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft den kürzeren zie­hen«, so hatte hellsichtig eine im übrigen sehr wohlwollende Würdigung seines Werkes bereits im Dezember 1914 gemutmaßt, passe er nicht recht in eine Zeit,»deren wunder­vollstes Erlebnis in der heroischen Un­terordnung der Einzel­per­sönlichkeit unter die Not und den Willen der großen Allge­mein­heit besteht.« 48 In der Tat fiel es Georg Hermann schwer, vorbehaltlos in den Ruf nach nationaler Geschlossenheit einzustimmen. Sein Individualis­mus und seine Weltoffenheit ließen ihn zum Außenseiter selbst unter den deutschen Juden werden, die sich von einem bedingungslosen Kriegseinsatz ihre endliche Anerkennung als vollgültige Deutsche verspra­chen. Zuneh­mend desillusio­niert, aber unfähig zur Arbeit an einem größeren Werk, ent­stand eine Vielzahl kurzer, unverbundener Texte Apho­ris­men, Re­fle­xionen, Anek­d­ oten aus dem Alltag und Margina­lien zur Zeitungs­lek­türe, die 1919 unter dem Titel Rand­be­merkungen gesammelt als Buch er­schie­nen. 49 Auf seiner Suche nach Orien­tie­rung hatte sich der lesehungrige Gerhard Scholem, von früher her mit einigen von Georg Her­manns Werken vertraut, einiges von der Lektüre ver­sprochen. Die Di­stanzierung des Autors von der »Gemeinheit« des wilhelminischen Deutsch­land während der Kriegsjahre imponierte ihm auch, obwohl er sich fragte,»was etwa in der Vos­si­schen Zeitung 1914 von ihm ge­schrie­ben sein mag??« Dass sich Georg Her­mann da